: Reinhard Marx
: Kirche (über)lebt
: Kösel
: 9783641181826
: 1
: CHF 8.70
:
: Gesellschaft
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kirche und moderne Gesellschaft scheinen nicht vereinbar. Dabei existiert die Kirche mitten in der modernen Gesellschaft. Zwischen Anpassung und Widerstand muss sie in kritischer Solidarität ihr Zeugnis in eine freiheitliche Kultur eintragen. Nicht von oben her bekehren, sondern durch Beispiel und Argument überzeugen: darum geht es. Und so in Gemeinschaft mit vielen anderen den Herausforderungen einer immer komplexer werdenden, pluralen Zivilisation begegnen.

Kardinal Reinhard Marx, geboren 1953, ist seit 2008 Erzbischof von München und Freising. Seit 2014 ist er Koordinator im Vatikanischen Wirtschaftsrat, den Papst Franziskus ins Leben gerufen hat. Kardinal Marx war von 2014 bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und bis 2018 Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft.

Wie geht’s der Kirche?

Leere Bänke: ein beliebtes Fotomotiv, wenn es um Kirche geht! Wie ein Mantra wird wiederholt, dass die Bedeutung der Kirchen von Jahr zu Jahr abnimmt und viele Menschen sie verlassen. Zurück bleiben leere Bänke. Da stellt sich dann doch die Frage nach dem »Überleben« der Kirche. In einer Welt, die auf Zahlen und Ergebnisse, auf messbare Renditen und sichtbare Erfolge ausgerichtet ist, scheint der Blick auf die Kirche von Jahr zu Jahr eher düsterer zu werden. Ein unaufhaltsamer Prozess?

Vor Jahrzehnten galt als ausgemacht:

  • Je moderner eine Gesellschaft ist, je weiter sie sich entwickelt, je fortschrittlicher sie wird, umso mehr wird das Thema Religion sich erledigen.
  • Kirche und Religion werden verschwinden wie der Schnee in der Sonne; und hier wirkt eben die Sonne der Aufklärung.
  • Religion und damit Kirche gehören einer älteren Stufe der Menschheitsentwicklung an, die ohne religiöse Deutungen und Erklärungsmuster nicht auszukommen schien.
  • In einer nächsten Stufe der Rationalisierung und wissenschaftlichen Forschung wird sich das Thema Religion erübrigen.

Wir alle wissen, dass wir eine ganz andere Entwicklung erlebt haben: Zwar stimmt es, dass in einer modernen und offenen Gesellschaft Gestalt und Gehalt von Religion sich verändern. Religion verschwindet aber nicht, auch die Kirche nicht. Sie verliert zwar vielleicht an Einfluss und Wirkmächtigkeit, aber religiöse Phänomene sind weiterhin außerordentlich virulent und präsent in der öffentlichen Debatte.

Hinzu kommt eine neue Dynamik und Beunruhigung im Bereich der Religionen, besonders durch die fundamentalistischen und fanatischen Ausprägungen des Islam. Aber es gibt auch im christlichen Bereich neue und sich polarisierende Diskussionen. Manchmal sind dann kulturelle, politische und religiöse Motive vermischt und dann wird deutlich, dass auch in sogenannten fortgeschrittenen, modernen Gesellschaften das Thema Religion nicht erledigt ist, beziehungsweise benutzt werden kann für die Verschärfung von Debatten. Denken wir an die Diskussion über das Kopftuch, die sogenannte Homo-Ehe, die Kreuze in öffentlichen Einrichtungen und vieles andere mehr. Die notwendigen Diskussionen und Auseinandersetzungen in einer offenen Gesellschaft bekommen eine besondere Note durch die religiöse Argumentation und durch die Mobilisierung, die dadurch möglich wird. All das geschieht innerhalb einzelner Gesellschaften, aber auch im Rahmen weltweiter Auseinandersetzungen. Von einem Verschwinden religiöser Thematik, Sprache und Symbolik kann jedenfalls nicht die Rede sein. Im Gegenteil.

Wir erleben also durchaus eine Verschärfung der religiösen Debatten und Kämpfe. Nichts deutet darauf hin, dass sich dies in nächster Zeit erledigen wird. Der von Samuel Huntington1996 beschworene »Kampf der Kulturen« (»clash of civilizations«) findet heute weit mehr Zustimmung al