1920Hadije Soraya
Vom Bosporus herauf schmeichelte sich das Tuten eines englischen Panzerkreuzers in sein Ohr.
»Feridun!«, rief die Mutter.
Unten auf der Terrasse vor dem alten, hölzernen Herrenhaus stand für den Sohn des Paschas das Frühstück bereit. Silberne Teekanne, Porzellantasse aus Limoges, Toast, Orangenmarmelade, ein Schälchen mit Gurken, eins mit Oliven, eine Schale frischer Joghurt, den die Haushälterin allmorgendlich vom Straßenhändler mit dem Joch über der Schulter kaufte, wenn er sich am Tor mit seinem Ruf »Yogurtcuuuu!« meldete.
Milder Morgenwind stieg vom Bosporus herauf, strich durch den Park, fing sich in der Fassade des Paschasitzes, griff in die Zweige dreier riesiger Zedern und ließ die Blätter der beiden Palmen vor Feriduns Fenster rascheln. Im Sonnenschein warfen die Palmenblätter riesige Schattenspinnen, die über Holzfassade und die aufgeklappten Fensterläden hoch und höher krochen. Die Luft roch nach Erde und Wasser, rund um einen Kreis aus mannshohen Rosenbäumen sprengte der Gärtner seine Beete. Im kriegsgezeichneten Konstantinopel erweckte das Anwesen auf den Hügeln von Nişantaşi den Eindruck einer ungefährdeten Idylle.
»Feridun, Frühstück!«
Hadije Soraya erwartete ihren Sohn auf der Terrasse, neugierig auf weitere Geschichten von deutschen Aristokraten, den Roons und den Bassewitzens. Mit Frontabenteuern brauchte Feridun ihr nicht zu kommen. Der große Krieg war verloren, und Hadije Soraya froh, Mann und Sohn wieder heil um sich zu wissen. Doch von den preußischen Grafen auf ihren Gütern hörte sie den Heimkehrer aus dem untergegangenen Reich des Kaisers gar zu gerne erzählen. Feridun tat ihr den Gefallen nach Kräften, erfand notfalls hinzu, wenn ihm der Stoff ausging, er sprach sogar freundlich von den Comtessen. Das Magdolna-Kapitel ließ er weg, seine Mutter brauchte nicht alles zu wissen.
Feridun war noch nicht wirklich zu Hause angekommen. Er sprach und träumte Deutsch. Sein Türkisch war das eines Zehnjährigen, es machte ihn verlegen, wenn die Eltern ihn verbesserten wie einen Abc-Schützen. Lieber war es ihm, wenn zu Hause Deutsch oder Französisch konversiert wurde, was zum Glück häufig der Fall war. Nachhilfe in Straßentürkisch holte er sich lieber vom Dienstpersonal.
Der Vater war heute schon sehr früh ins Ministerium gefahren. Es gab wieder Ärger. Die Demobilisierung der Sultansarmee schien ins Stocken zu geraten, was die Aliierten auch dem zuständigen Generalstabschef anlasteten. Engländer, Franzosen und Italiener hatten die Stadt in Zonen aufgeteilt, um – jeder auf seine Weise – die Forderungen der Siegermächte durchzusetzen. Hunderte Carabinieri, aus Italien herübergeholt, nahmen in allen Sektoren die Polizeiaufgaben wahr.
Der Sultan ließ alle Demütigungen über sich ergehen.
In den Weiten Anatoliens jedoch verpufften die Drohgebärden der Sieger. Dorthin hatte sich der Kriegsheld Mustafa Kemal Paşa mit seinen Getreuen zurückgezogen, ins fünfhundert Kilometer östlich gelegene Ankara. In seinem Hauptquartier tagte die von ihm einberufene »Nationalversammlung« und versuchte auf das Parlament des Sultans am Bosporus Einfluss zu nehmen. Auch auf seinen Weggefährten Cevat Paşa konnte er dabei zählen.
»Feridun, nun komm doch endlich!«
»Oui, Maman!«
Er blieb im Bett liegen und blinzelte in den Morgen. Versuchte sich zu erinnern, wie es früher hier oben ausgesehen hatte, wenn er als Kind die Augen aufschlug. Sein Zimmer im dritten Stock war nun für Gäste eingerichtet, die über Nacht blieben. Die beiden Palmen in Feriduns Alter, die der achtjährige J