II. Ein Hereinfall
›Viele Gedanken wohnen im Menschenherzen‹ – so heißt es, glaube ich, in unserer heiligen Thora. Ich brauche Euch diesen Vers wohl nicht zu übersetzen, Reb Scholem-Alejchem; aber er bedeutet dasselbe wie das jüdische Sprichwort: ›Das beste Pferd braucht eine Peitsche, und der klügste Mensch einen guten Rat.‹ Wen meine ich damit? Ich meine damit mich selbst: denn wäre ich damals zu einem guten Freund gegangen und hätte ihm die ganze Geschichte erzählt, so wäre ich gewiß nicht so übel hereingefallen! Aber – ›Tod und Leben steht in der Zunge Gewalt‹ – wenn Gott den Menschen strafen will, so nimmt er ihm den Verstand. Wie oft habe ich mir schon gesagt: Überlege es dir nur, Tewje, du Esel! Du bist ja, wie man sagt, kein Narr; wie läßt du dich so furchtbar anführen? Was könnte es dir schaden, wenn du neben deinem Verdienst an den Milchwaren, die in der ganzen Welt – in Bojberik und in Jehupez – und wo nicht? – so berühmt sind, auch noch etwas Bargeld hättest, das ganz still im Koffer versteckt wäre und von dem kein Mensch etwas wüßte? Denn wen geht es etwas an, ob Tewje Geld hat oder nicht? Ich meine es ganz ernst. Viel hat sich die Welt um Tewje gekümmert, als er, nicht auf heute sei es gesagt und auf keinen Juden sei es gesagt, neun Ellen tief in der Erde lag und mit Weib und Kindern dreimal am Tage vor Hunger starb! Erst als Gott sich seiner angenommen und ihn so ganz plötzlich beglückt hatte, als Tewje aufatmen konnte und etwas Geld auf die Seite zu legen begann, da fing sein Name an, in der ganzen Welt zu klingen, und Tewje wurde plötzlich zu einem Reb Tewje – ein Spaß! Es erschienen plötzlich viele gute Freunde, wie es auch geschrieben steht: ›Alle sind geliebt, alle sind auserwählt.‹ – Gibt Gott mit dem Löffel, so geben die Menschen mit dem Scheffel. Jeder kommt mit seinem Rate: der eine spricht von einem Schnittwarengeschäft, der andere von Kolonialwaren, der dritte von einem eigenen Häuschen und einem Grundstück, der vierte redet von Weizen, der fünfte von Wald, der sechste von Lieferungen – »Brüder«, sage ich, »laßt ab von mir! Ihr seid in großem Irrtum, denn ihr glaubt wohl, ich sei Brodskij! Ich wünsche uns allen soviel, wieviel mir zu dreihundert, und sogar zu zweihundert und selbst zu hundert Rubeln fehlt! Es ist leicht«, sage ich, »das Vermögen des anderen abzuschätzen: jeder glaubt, daß beim anderen eitel Gold leuchtet; kommt er aber näher heran, so sieht er nur einen Messingknopf!«
Kurz und gut – nicht gedacht soll ihrer werden –, ich meine unsere Juden! Denn ein böser Blick hat mich getroffen! Einen Verwandten hat mir Gott zugeschickt, einen ganz entfernten Verwandten, meines Pferdes Peitschenstiel, wie man das nennt. Menachem-Mendel hieß er, ein Windbeutel, ein Herumlaufer, ein Dreher, ein Garnichts war er, – auf keinem guten Ort möge er stehen! Er hat mich erwischt und mir den Kopf mit ganz unsinnigen Dingen verdreht. Werdet Ihr doch fragen: ›Wie komme ich, Tewje, zu diesem Menachem-Mendel?‹ Werde ich Euch darauf antworten: Knechte waren wir bei Pharao in Ägypten ... Es war mir so beschert! Hört nur die Geschichte.
Ich komme einmal anfangs Winter mit meinen Milchwaren nach Jehupez – mit einigen und zwanzig Pfund frischer Butter aus dem Butterland und einigen Laib Käse wie Gold und Silber –, ich wünsche uns beiden ein gutes Jahr! Es versteht sich doch von selbst, daß ich meine Ware im Nu verkaufte und nicht einmal Zeit hatte, alle meine Sommerkunden, die Bojberiker Sommerfrischler aufzusuchen, die auf mich wie auf den Messias warten. Denn die Jehupezer Kaufleute mögen soviel Plagen erleben, wie sie imstande sind, eine solche Ware zu liefern, wie Tewje sie liefert. Euch brauche ich es ja nicht zu erzählen! Wie sagt doch der Prophet: ›Laß dich von einem andern loben‹ – gute Ware lobt sich selbst ...
Kurz und gut, als ich meine