BILDER EINES MORGENS
Jeden Tag ging sie zum Kiosk an der Haltestelle. Der Weg dorthin war gerade lang genug, um eines von diesen Liedchen zu trällern, die einem ohne Grund und ohne dass man sie überhaupt mag, nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie kaufte eine Zeitung und sah in das Schaufenster der Geschenke-Boutique, so als ob sie erwartete, Spuren von den nächtlichen Abenteuern der Wachsfiguren zu entdecken. Danach warf sie eine Münze in den Spielautomaten an der Straße und drückte auf den Knopf. An diesem Morgen – sie war schon einen Schritt vom Automaten weggegangen, weil sie nichts erwartete – brachte das Klingeln herabfallender Münzen sie dazu, sich zurück zu drehen. Über die drei Kirschen nebeneinander freute sie sich gar nicht. Sie wusste, dass sie ein schlechtes Omen waren. Während sie das Kleingeld auflas, dachte sie an jenen Spruch: ›Glück im Spiel, Pech in der Liebe‹.
Zu Hause machte sie sich Kaffee und schlug die Zeitung auf, doch ihr Blick schweifte unkonzentriert über die Seiten. Sie erinnerte sich an Samstagabend. Schon lange war sie zuvor nicht mehr auf einer Party im Studentenviertel gewesen; das pralle Leben und der Lärm dort hatten sie sofort mitgerissen. Sie hatte das übliche Dreibettzimmer mit Plakaten an den Wänden erwartet. Deshalb war sie erstaunt und auch angenehm überrascht vor einer Wand voller Bilder stehen geblieben. Von einem Laien gemalt, doch imposant und emotionsgeladen. Alle stellten ein und dieselbe Frau in verschiedenen Positionen dar. Sie hatte sich nicht entscheiden können, ob ihr das eine besser gefiel, das beinahe wie eine Fotografie wirkte, das Bild des Mädchens vor einem abfahrenden Zug – ihr Gesicht spiegelte sich im Gangfenster, von der Bewegung langgezogen und verzerrt. Oder jenes, auf dem die Frau nur in Umrissen gezeichnet war, fast körperlos, wie eine Vision, während sich ein Mann fest an ihren Knöchel klammerte und hinter ihr her ziehen ließ.
»Gefallen Ihnen die Bilder?« – war ihr eine Stimme über den Rücken gekrochen, und ihr war, als hätte sie den Mann sehen können, noch bevor sie sich umgedreht hatte, um auf die sehr dunklen Augen zu treffen, die ausgeprägten Wangenknochen und den hervorspringenden Adamsapfel, die genauso waren, wie sie sich das vorgestellt hatte.
»Ja. Eben dachte ich noch, dass sie zusammen mit einer Tasse Kaffee eine Super-Werbung abgeben würden, nach dem Motto›passend für jede Stimmung‹.«
Er hatte gelächelt und ihr einen Gin Tonic in der Dose gereicht. Den ganzen Abend über hatten sich ihre Blicke gesucht, obwohl