: Frank Wedekind
: Gesammelte Werke: Dramen + Erzählungen + Gedichte Frühlings Erwachen + Die Büchse der Pandora + Musik + Erdgeist + Der Verführer + Rabbi Esra + Tod und Teufel + Mine-Haha + Der Marquis von Keith + Mit allen Hunden gehetzt und vieles mehr
: e-artnow
: 9788026837770
: 1
: CHF 1.80
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: Dramatik
: German
: 1300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses eBook: 'Gesammelte Werke: Dramen + Erzählungen + Gedichte' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korekturgelesen. Frank Wedekind (1864-1918) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler. Mit seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken gehörte er zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche. Inhalt: Frühlings Erwachen Tod und Teufel Óaha,die Satire der Satire Mit allen Hunden gehetzt Musik Die Büchse der Pandora Die Zensur Erdgeist König Nicolo oder So ist das Leben Der Marquis von Keith Der Kammersänger Fritz Schwigerling oder Der Liebestrank Hidalla oder Sein und Haben Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten Der Verführer Mine-Haha oder Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen Rabbi Esra Die Schutzimpfung Die vier Jahreszeiten Frühling Ilse Franziska Frühling Der blinde Knabe Sommer Konfession Der Taler Mein Käthchen Morgenstimmung Sommer 1898 Brigitte B. Die neue Kommunion Schicksal Coralie Herbst Altes Lied Bajazzo Das Lied vom armen Kind oder Wer zuletzt lacht, lacht am besten Tiefer Friede Lulu An einen Hypochonder Der Zoologe von Berlin Der Lehrer von Mezzodur Winter Der Tantenmörder Auf dem Faulbett Trost Wilhelmine Erdgeist Gedichte An mich Auf eigenen Füßen-Donnerwetter Aus den Böhmischen Wäldern I Aus den Böhmischen Wäldern II Das Lied vom gehorsamen Mägdlein Der Andere Des Dichters Klage Die Hunde Die Realistin Die Schriftstellerhymne Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte Ein politisch Lied I Ein politisch Lied II Herr von der Heydte Im Heiligen Land Liebe Menschlichkeit Nach Gellert Parodie und Satire Politische Disticha Rückblick Schluß Silvester Tingel-Tangel An Madame de Warens Galathea Debutant Madame de Warens Das Wüstenschiff Pennal In usum Delphini Liebesantrag Wendla Francisca An einen Jüngling Idyll Weltweisheit Stallknecht und Viehmagd Frühlingslied Der Anarchist Zur Verlobung Mein Lieschen ...

Fünfte Szene

Frau Gaborsitzt, schreibt
Lieber Herr Stiefel!


Nachdem ich 24 Stunden über alles, was Sie mir schreiben, nachgedacht und wieder nachgedacht, ergreife ich schweren Herzens die Feder. Den Betrag zur Überfahrt nach Amerika kann ich Ihnen – ich gebe Ihnen meine heiligste Versicherung –nicht verschaffen. Erstens habe ich so viel nicht zu meiner Verfügung, und zweitens, wenn ich es hätte, wäre es die denkbar größte Sünde, Ihnen die Mittel zur Ausführung einer so folgenschweren Unbedachtsamkeit an die Hand zu geben. Bitter Unrecht würden Sie mir tun, Herr Stiefel, in dieser Weigerung ein Zeichen mangelnder Liebe zu erblicken. Es wäre umgekehrt die gröbste Verletzung meiner Pflicht als mütterliche Freundin, wollte ich mich durch Ihre momentane Fassungslosigkeit dazu bestimmen lassen, nun auch meinerseits den Kopf zu verlieren und meinen ersten nächstliegenden Impulsen blindlings nachzugeben. Ich bin gern bereit – falls Sie es wünschen – an Ihre Eltern zu schreiben. Ich werde Ihre Eltern davon zu überzeugen suchen, daß Sie im Laufe dieses Quartals getan haben, was Sie tun konnten, daß Sie Ihre Kräfte erschöpft, derart, daß eine rigorose Beurteilung Ihres Geschickes nicht nur ungerechtfertigt wäre, sondern in erster Linie im höchsten Grade nachteilig auf Ihren geistigen und körperlichen Gesundheitszustand wirken könnte.

Daß Sie mir andeutungsweise drohen, im Fall Ihnen die Flucht nicht ermöglicht wird, sich das Leben nehmen zu wollen, hat mich, offen gesagt, Herr Stiefel, etwas befremdet. Sei ein Unglück noch so unverschuldet, man sollte sich nie und nimmer zur Wahl unlauterer Mittel hinreißen lassen. Die Art und Weise, wie Sie mich, die ich ihnen stets nur Gutes erwiesen, für einen eventuellen entsetzlichen Frevel Ihrerseits verantwortlich machen wollen, hat etwas, das in den Augen eines schlechtdenkenden Menschen gar zu leicht zum Erpressungsversuch werden könnte. Ich muß gestehen, daß ich mir dieses Vorgehen von Ihnen, der Sie doch sonst so gut wissen, was man sich selber schuldet, zuallerletzt gewärtig gewesen wäre. Indessen hege ich die feste Überzeugung, daß Sie noch zu sehr unter dem Eindruck des ersten Schreckens standen, um sich Ihrer Handlungsweise vollkommen bewußt werden zu können.

Und so hoffe ich denn auch zuversichtlich, daß diese meine Worte sie bereits in gefaßterer Gemütsstimmung antreffen. Nehmen Sie die Sache, wie sie liegt. Es ist meiner Ansicht nach durchaus unzulässig, einen jungen Mann nach seinen Schulzeugnissen zu beurteilen. Wir haben zu viele Beispiele, daß sehr schlechte Schüler vorzügliche Menschen geworden und umgekehrt ausgezeichnete Schüler sich im Leben nicht sonderlich bewährt haben. Auf jeden Fall gebe ich Ihnen die Versicherung, daß Ihr Mißgeschick, soweit das von mir abhängt, in Ihrem Verkehr mit Melchior nichts ändern soll. Es wird mir stets zur Freude gereichen, meinen Sohn mit einem jungen Manne umgehn zu sehn, der sich, mag ihn nun die Welt beurteilen, wie sie will, auch meine vollste Sympathie zu gewinnen vermochte. Und somit Kopf hoch, Herr Stiefel! – Solche Krisen dieser oder jener Art treten an jeden von uns heran und wollen eben überstanden sein. Wollte da ein jeder gleich zu Dolch und Gift greifen, es möchte recht bald keine Menschen mehr auf der Welt geben. Lassen Sie bald wieder etwas von sich hören und seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrer Ihnen unverändert zugetanen

mütterlichen Freundin Fanny G.

Sechste Szene

Bergmanns Garten im Morgensonnenglanz.

Wendla Warum hast du dich aus der Stube geschlichen? – Veilchen suchen! – Weil mich Mutter lächeln sieht. – Warum bringst du auch die Lippen nicht mehr zusammen? – Ich weiß nicht. – Ich weiß es ja nicht, ich finde nicht Worte…

Der Weg ist wie ein Plüschteppich – kein Steinchen, kein Dorn. – Meine Füße berühren den Boden nicht… Oh, wie ich die Nacht geschlummert habe!

Hier standen sie. – Mir wird ernsthaft wie einer Nonne beim Abendmahl. – Süße Veilchen! – Ruhig, Mütterchen. Ich will mein Bußgewand anziehn. – Ach Gott, wenn jemand käme, dem ich um den Hals fallen und erzählen könnte!

Siebente Szene