Kapitel 2 – In fremden Laken
Nun war ich tatsächlich hier gelandet, in seinem Appartement.
Vorher waren wir durch die halbe Stadt gefahren, hatten vor der Wohnung meines (Noch?-)Freundes gehalten, doch weil ich mich nicht stark genug fühlte, mich mit Steve zu konfrontieren, waren wir wieder aufgebrochen. Ohne Schlüssel konnte ich nicht in meine eigene Wohnung, und ohne Geld und Kreditkarten konnte ich auch in kein Hotel. So saß ich nun auf Vals Couch und betrachtete die Einrichtung seiner Wohnung. Sie war spärlich möbliert, es sah sehr sauber und aufgeräumt aus, ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Rocker, Motorradtypen, so dachte ich immer, seien versiffte und dreckige Menschen, und so wären auch ihre Behausungen: versifft und dreckig. Aber so war Val nicht, so war sein Appartement nicht. Entweder war er kaum jemals hier, sodass er es nicht verschmutzte, oder er war sehr reinlich und ein Freund des Putzens. Oder er beschäftigte eine sehr gute Reinigungskraft, die mindestens zweimal die Woche vorbeischaute.
Aber was wusste ich schon mehr über ihn als seinen Namen? Was wusste ich schon über Männer wie ihn? Ja, was wusste ich eigentlich über Männer überhaupt? Ich hatte mich von den zwei Typen, mit denen ich zusammen war, betrügen lassen. Beide Male hatte ich es zu spät bemerkt, beide Male war ich diejenige, die verletzt und tränenüberströmt davongerannt war.
Wie sollte ich jetzt weitermachen? Geknickt und ängstlich zu Steve zurückkehren oder mich auf diesen großen Unbekannten einlassen, dessen Blick mich gefangen nahm, dessen harte, breite Brust sich beim Motorradfahren so mächtig angefühlt hatte?
Wer war Val? Er gehörte zudenen, und wenn ich auch nicht wusste, wersie waren, so hatte ich gespürt, dass sie von anderen respektiert oder vielleicht sogar gefürchtet wurden. »The Beasts« – war das vielleicht eine dieser kriminellen Rockergruppen? War Val ein Gangster, war er bewaffnet? War er das Abenteuer, das ich brauchte, das ich wollte? Oder war er schon zu viel an Gefahr?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, stellte Val sich vor mich, sah mir tief in die Augen und holte eine Pistole hinter seinem Rücken hervor. Wie hatte ich die nicht spüren können, als ich mich während der Fahrt an ihn gedrückt hatte? Er legte die Pistole behutsam auf den flachen Wohnzimmertisch vor mir ab und ging dann in ein anderes Zimmer. Ich starrte auf die Schusswaffe. Ich wusste, wie man mit so einem Ding umgehen musste. Mein Vater war oft mit mir auf dem Schießstand gewesen, schon als kleines Kind hatte ich Waffen kennengelernt. Auch Steve war ein paarmal mit mir dort gewesen, er besaß einen Waffenschein und eine »Glock«. Er, als Angestellter einer Bank, müsse sich selbst verteidigen können, rechtfertigte er sich immer. Große Worte von einem Mann mit solch kleinem, verkümmertem Herzen.
Jetzt lag diese Pistole vor mir, ganz sicher geladen, und ihr Besitzer war im Zimmer nebenan.
Was wollte Val mir damit sagen? Dass ich ihn nicht fürchten müsste? Oder dass ich ihn fürchten sollte? Noch bevor ich einen klaren Gedanken oder Entschluss fassen konnte, war er wieder zurück. Er hatte seine Lederjacke ausgezogen und trug nur noch ein enges weißes T-Shirt. Ich konnte seine muskulöse Brust durch den Stoff durchscheinen sehen, seine breiten Schultern wurden nicht mehr von der Lederjacke bedeckt, seine kräftigen Oberarme lagen nun frei. Sein rechter Arm war von der Ellenbeuge aufwärts tätowiert. Die Abbildung erinnerte mich an die Bestie auf seiner Lederjacke. Val lächelte mich an und verschränkte die Arme, was seine Oberarmmuskeln noch imposanter aussehen ließ.
»Du kannst auf der Couch schlafen«, sagte er, »ich kann dir garantieren, dass sie sehr bequem ist, vielleicht sogar bequemer als mein Bett. Falls du duschen möchtest, im Bad findest du frische Handtücher.«
»Ich weiß nicht, ob ich hierbleiben sollte«, erwiderte ich und stand auf.
»Gut, wenn du nicht bleiben willst, dann kannst du gehen. Aber wohin willst du mitten in der Nacht? Hatten wir nicht geklärt, dass du nirgendwohin kannst, dass du kein Geld und keine Schlüssel hast? Oder soll ich dich etwa doch zu deinem Freund bringen?«
Ich ließ mich zurück auf die Couch fallen. Die Erinnerung an Steve machte mich müde und unglaublich wütend zugleich. Ich blickte auf die Pistole und zitterte vor Wut