: Alfred Neven DuMont
: Mein Leben Die Jahre von 1927 bis 1968
: DuMont Buchverlag
: 9783832188832
: 1
: CHF 8.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als ältester Sohn der traditionsreichen Verlegerfamilie Neven DuMont wird Alfred 1927 in Köln geboren, der Stadt, mit der er zeit seines Lebens am engsten verbunden bleiben wird. Seine Mutter, Tochter von Franz von Lenbach, sorgt für eine zweite Heimat: München und Starnberg. Mit 16 Jahren steht Neven DuMont dort zum ersten Mal als Schauspieler auf der Bühne der Münchner Kammerspiele. Ein Leben am Theater scheint nach dem Krieg vorgezeichnet. Er ist in der quirligen Münchener Künstler- und Theaterszene zu Hause und trifft die schillerndsten Persönlichkeiten der Zeit. Nach einem Studienaufenthalt in den USA und mehreren Hospitanzen bei großen deutschen Zeitungen fällt schließlich - nicht ganz leichten Herzens - die Entscheidung gegen das Theater und für den Journalismus. 1953 tritt er in den Verlag M. DuMont Schauberg ein, übernimmt sukzessive die Position seines Vaters und wird zu einer der großen deutschen Verlegerpersönlichkeiten. in>Mein Leben< erzählt Alfred Neven DuMont zum ersten Mal ausführlich von seiner Kindheit, Jugend und jungen Erwachsenenzeit.

Alfred Neven DuMont, geboren am 29. März 1927, trat nach einer frühen Tätigkeit an den Münchner Kammerspielen und einem Studium in München und in Chicago 1953 in den Verlag M. DuMont Schauberg ein. Er war seit 1960 Herausgeber des Kölner Stadt-Anzeigers, gründete kurz darauf die Boulevardzeitung Express, wurde 1990 Herausgeber der Mitteldeutschen Zeitung und 2006 der Frankfurter Rundschau. 2008 kam die Berliner Zeitung zum Verlag. Alfred Neven DuMont war Ehrenbürger der Stadt Köln, Honorarprofes

Bei den Kraten

Über mein dramatisches Erlebnis mit den drei großen Jungen auf dem Schulhof und mit Robby wollte ich mit niemandem sprechen. Es war mir tief unter die Haut gegangen. Silvia ahnte etwas von dem Vorfall, den sie wegen der Krankheit nicht hatte verhindern können. Aber auch sie vermochte nichts aus mir herauszulocken. Nur Frau Bröhl, nur ihr allein, wurde das Geheimnis anvertraut. Sie nickte verständnisvoll: »Die Väter müssen von der Straße weg und in Lohn kommen. Der Führer, der wird es richten.«

Am nächsten Morgen entdeckte ich zu meinem Erstaunen Robby in der Küche, eine Brotscheibe mit Speck in der Hand. Er grinste mir freundlich zu, während sich Frau Bröhl woanders in der Küche zu schaffen machte. Toni erhielt den Bescheid, dass sie für meinen Schulgang nicht vonnöten sei. So trottete ich an der Seite von Robby hochzufrieden, als wäre es immer so gewesen, in Richtung Schule. Noch an dem Tag entwickelte sich Robby zu meinem Schatten. Ob auf dem Schulhof, auf dem Nachhauseweg oder während eines kleinen Ausflugs unter Jungen auf Einladung meines neuen Beschützers zum alten Fort außerhalb der Marienburg. Ich holte eine Tafel Schokolade aus meiner Tasche, bevor sie schmelzen konnte, brüderlich wurde sie geteilt. Robby schmatzte: »So etwas Gutes habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Auch Weihnachten nicht.«

Wir zogen an den Villen vorbei, an großen und kleinen, eingebettet in das üppige Gras der Gärten oder eines Parks. Hier lebte man nicht in der Marienburg, sondern auf der Marienburg. Mit der Bezeichnung wurde für jedermann deutlich, dass die Reichen der Stadt, die »Besseren«, wie sie sich nannten, oben angesiedelt waren. Von England war das Wort »Plutokraten« hinübergeweht. Niemand wusste, wie es sich auf der Marienburg festgesetzt hatte. Ob nun Lob oder Schimpfwort, es war nicht mehr für die Herrschaften, die »besseren« Leute, wegzudenken.

Die Einwohner der Marienburg kannten sich, mehr oder weniger. Nicht selten machte man Geschäfte miteinander, Ehen wurde oft genug unter sich ausgemacht: »Man kommt aus dem gleichen Stall«, war die Begründung, die zur Beruhigung angesichts möglicher späterer Unbill beitrug. Die Unternehmen, die Handelskontore, die Kaufhäuser, die Fabriken von den Einwohnern der Marienburg lagen inmitten der Stadt oder weiter draußen, dort, wo in den Siedlungen das breite Volk lebte. Es mochte den Rauch aus den Schornsteinen der Fabriken oder den Lärm der Maschinen abbekommen. Auf der Marienburg herrschten dagegen strenge Ruhe und Sauberkeit.

Die Marienburg reichte vom Rhein im Osten bis zur Bonner Straße, vom Bayenthalgürtel im Norden bis zu dem Fort, das noch aus den Franzosenkriegen übrig geblieben war und dessen meterdicke Mauern, aus denen die Schießscharten hervorlugten, immer noch zu schaurig-lustvollen Besuchen einluden. Innerhalb der Marienburg gab es keine Läden. Der Verkauf hätte die Ruhe der Einwohner stören können. So konnte man den Distrikt der Reichen zu Recht ein »Ghetto« nennen, dem man nur unter Verlust des guten Namens und des Ansehens für immer den Rücken kehren konnte. Lediglich eine kleine schmucklose Kapelle, gleich beim schmalen Halbrund des Südparks, wo die Damen der Gesellschaft ihren Hunden freien Lauf gewährten, war vorhanden. Dort trafen sich die Herrschaften mit ihrer stattlichen Kinderschar, um unter dem Dach der katholischen Kirche in Zeiten der wirtschaftlichen und sozialen Krisen Zuflucht zu suchen. Die braune Herrschaft, die sich über Nacht im Land ausgebreitet hatte wie eine ansteckende Krankheit, ließ sich für viele bedrohlich an. Man zog den Kopf ein in der Hoffnung, dass der Spuk, dem selbst der alte Präsident und Feldmarschall keine Gegenwehr mehr geboten hatte, bald vorüber sein würde.

Auf dem Rückweg vom Fort ließ ich meinen Beschützer reden. Mit Schaudern vernahm ich, unter welchen Umständen die Familie von Robby in den Baracken lebte: Die vier Brüder schliefen in zwei Betten in einer Kammer, die so kurz waren, dass man schwerlich d