Prolog – Die Wirkmacht von Ideen
Wenn wir zurückdenken, werden wir uns alle an einen Augenblick erinnern, in dem eine Idee unser Leben veränderte. Wir kennen den Schub, der uns durchströmt, wenn wir erkennen, dass es sich bei dem, was wir hören, lesen oder uns ausdenken, um einen genialen Einfall handelt. Voller Tatendrang gehen wir in die Welt hinaus, mit der Gewissheit dieser Idee im Kopf. Aber wie lange liegt das zurück? Der Glaube fehlt uns,wir seien Teil einer bedeutsamen Zeit. Wir haben das Empfinden dafür verloren, etwas Beispielloses gehe in unserer Zeit vor sich und werde die Welt verändern. Mit dem Scheitern der Großideologien des 20. Jahrhunderts ist auch die Erwartung ausgebrannt, eine Idee könne das Leben der Menschheit beflügeln.
Seitdem die Großideologen untergegangen sind, liegt die Sicht frei auf den Hintergrund: Millionen orientierungslose Menschen. Die Anspannung, mit der Menschen einmal ihrer Zukunft entgegenfieberten, fließt heute in die Einrichtung von Wohnzimmern. Die Sehnsucht nach der Zukunft kauft heute schwedische Einrichtungshäuser leer. Die westlichen Demokratien schaffen einen unfassbaren materiellen Reichtum. Wir erleben einen nie da gewesenen Aufschwung: Von 1970 bis 2015 hat sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt von 500 Milliarden Euro auf 3 000 Milliardenversechsfacht – bei einer schrumpfenden Bevölkerung. Die Methode, Wohlstand am Bruttoinlandsprodukt festzumachen, mag viele Schwächen haben – so wurde die Straße, in die ich gezogen bin, mittlerweile zum vierten Mal saniert (dieser Irrsinn taucht in den Zahlen desBIP nicht auf; diese suggerieren, dass wir letztlich im Besitz von vier Straßen sind). Aber selbst wenn sich unser Wohlstand in den letzten fünfzig Jahren »nur« verdreifacht hat, grenzt diese Leistung schlicht an ein Wunder.
Unsere Ökonomien sind derart leistungsfähig, dass weniger als fünf Prozent der Gesamtleistung auf das entfallen, was wir überhaupt zum Überleben brauchen. Das ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit. Nie zuvor hatten wir derart viel Zeit, Reichtum und Luxus. Unsere Demokratien erstrahlen im Glanz von Größe. Wir müssen nicht länger auf die Stärksten und Besten setzen, um unsere Gesellschaft voranzubringen. Wir ermöglichen schwachen und behinderten Menschen einen Alltag in Würde und Teilhabe. Die Größe der Demokratie ist unermesslich. Doch die meisten Menschen leben ihr Leben im Zeichen einer geistigen Kapitulation. Sie scheinen zu warten, aber worauf? Statt die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen einen russischen Diktator zu fürchten, sollten wir uns ab und zu fragen, wofür wir bereit sind, die restlichen 95 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtleistung zu opfern.
Churchill entwirft in seiner legendären Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede eine so gänzlich andere Vision von Demokratien, dass man nicht umhinkommt, ihr Respekt zu zollen und sich zu fragen, was unsere Beschwichtigungspolitik gegenüber Diktaturen zur Folge hat. In der Rede stellt er am 13. Mai 1940, drei Tage nach seiner Ernennung zum Premierminister, vor dem Britischen Unterhaus sein Regierungsprogramm vor:
»Es wurde ein aus fünf Ministern bestehendes Kriegskabinett gebildet (…) man muss bedenken, dass wir uns im Anfangsstadium einer der größten Schlachten der Weltgeschichte befinden, dass wir an vielen Punkten Norwegens und Hollands kämpfen, dass wir im Mittelmeer kampfbereit sein müssen, dass der Luftkrieg ohne Unterlass weitergeht (…). Sie werden fragen: Was ist unsere Politik? Ich erwidere: Unsere Politik ist, Krieg zu führen, zu Wasser, zu Lande und zur Luft, mit all unserer Macht und mit aller K