: Jörg Dräger, Ralph Müller-Eiselt
: Die digitale Bildungsrevolution Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können
: Deutsche Verlags-Anstalt
: 9783641172589
: 1
: CHF 6.20
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Chancen und Risiken der digitalen Bildungsrevolution
Ein Schüler erhält täglich einen auf ihn zugeschnittenen Lernplan, den ein New Yorker Rechenzentrum über Nacht erstellt. Eine Universität arbeitet mit Software, die für jeden Studenten die optimalen Fächer ermittelt, inklusive der voraussichtlichen Abschlussnoten. Ein Konzern lässt seine Bewerber in einem virtuellen Restaurant Sushi servieren, da das Computerspiel ihren Berufserfolg vorhersagt. Die Bildungsexperten Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt wissen: Das ist die digitale Zukunft des Lernens.

In ihrem neuen Buch zeigen sie, wie die vernetzte Welt nicht nur unser Bildungssystem, sondern auch unsere Gesellschaft grundlegend verändern wird, wie bisherige Bildungsverlierer neue Chancen bekommen und alte Eliten in Bedrängnis geraten. Und sie warnen: Digitale Bildung erfasst Unmengen von Daten; es droht der gläserne Lerner, der im Netz unauslöschliche Spuren hinterlässt und zum Opfer von Algorithmen und Wahrscheinlichkeiten wird.

Der Appell der beiden Autoren: Um die großen Chancen zu nutzen, den Risiken zu begegnen und international nicht den Anschluss zu verlieren, muss Deutschland die digitale Bildungsrevolution jetzt aktiv gestalten. Ein Weckruf, der unsere Gesellschaft zum Handeln auffordert.

Ralph Müller-Eiselt, Jahrgang 1982, ist mit Internet und sozialen Medien aufgewachsen. Er forscht für die Bertelsmann Stiftung, wie der digitale Wandel unsere Gesellschaft verändert, und twittert (@bildungsmann, @Bildung_Digital) und bloggt (digitalisierung-bildung.de) über die Bildung von morgen.

2 DER DRUCK STEIGT
Warum eine Bildungsrevolution notwendig ist

»Bildung für alle, und zwar sofort!«17

Motto der Schüler- und Studentenstreiks 2008/2009

In Deutschland ist der Wunsch nach höherer Bildung ungebrochen: Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs erwirbt inzwischen die sogenannte Hochschulzugangsberechtigung, fast zehnmal mehr als 1960. In einzelnen Bundesländern liegt der Anteil noch deutlich höher, in Nordrhein-Westfalen zuletzt bei zwei Dritteln.18 Die Bedeutung der Hauptschule hingegen hat rasant abgenommen: Besuchten zu Beginn der sechziger Jahre noch knapp 70 Prozent der Schüler eines Jahrgangs diese Schulform, taten dies 2013 nicht einmal mehr 15 Prozent (siehe Abbildung 1).19

Entsprechend entscheidet sich mittlerweile der überwiegende Teil der Schulabgänger für ein Studium und gegen eine duale Ausbildung (siehe Abbildung 2).20 Waren unsere Hochschulen ursprünglich darauf ausgelegt, eine kleine akademische Elite auszubilden, ist Studieren inzwischen zum Normalfall geworden. Die Zahl der Hochschulabsolventen hat sich allein in den vergangenen zwanzig Jahren von gut 200000 auf jährlich weit über 400000 mehr als verdoppelt.21 Ausbildungsberufe wie Erzieherinnen oder Krankenpfleger, die in anderen Ländern ein Hochschulstudium erfordern, sind in dieser Statistik noch gar nicht berücksichtigt.

Bildung wird zur Massenware

Was in Deutschland seit einiger Zeit als »Akademikerwahn-Debatte« die Feuilletons beschäftigt, ist anderswo auf der Welt schon lange akzeptierter Standard, wenn nicht explizites politisches Ziel. In Korea erreichen inzwischen fast sieben von zehn Jugendlichen eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss,22 in denUSA strebt man sogar das »College for all« an.23 Bildungsforscher gehen davon aus, dass sich die Zahl der Studierenden binnen der nächsten zehn Jahre weltweit auf dann über 260 Millionen verdoppeln wird.24

In den Schwellenländern ist die Dynamik besonders groß: Staat und Familien investieren massiv in die Zukunftschancen ihrer Kinder. So wird die Hälfte aller Hochschulabsolventen ausOECD- und G20-Staaten im Jahr 2030 aus China und Indien kommen.25 Dort hat sich bereits im vergangenen Jahrzehnt die Zahl der Hochschulen verdoppelt und die Zahl der Absolventen vervierfacht. Bis zum Ende des Jahrzehnts will China knapp 200 Millionen Menschen zu einem Hochschulabschluss führen.26 Zum Vergleich: Im deutschen Arbeitsmarkt sind derzeit gerade einmal 8 Millionen Akademiker tätig.27 Und auch in der beruflichen Bildung sind die Dimensionen der geplanten Expansion enorm: Indien hat sich bis 2022 vorgenommen, 500 Millionen Menschen qualifiziert auszubilden28 – eine Aufgabe, für die das deutsche Ausbildungssystem mit seinen derzeitigen Kapazitäten fast tausend Jahre bräuchte.

Die Motive – Aufstiegswunsch auf der einen Seite, Abstiegsangst auf der anderen – mögen unterschiedlich sein, das Ergebnis ist das gleiche: Das Streben nach mehr und höherer Bildung vereint die Welt. Experten gehen trotz des weltweiten Bildungshungers davon aus, dass der globale Arbeitsmarkt noch lange nicht gesättigt sein wird. Denn der Mangel an Akademikern und Fachkräften ist bereits heute groß und droht immer größer zu werden. Es fehlen Naturwissenschaftler und Ingenieure, ebenso Ärzte und Pflegepersonal.29 Auch in Deutschland ist trotz der von manchen befürchteten Akademikerschwemme kein Sättigungseffekt auf dem Arbeitsmarkt abzusehen. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote bei Akademikern liegt konstant auf einem extrem niedrigen Niveau zwischen zwei und drei Prozent.30