Für das Verständnis der nachfolgenden Abschnitte ist es sinnvoll, den biblischen Text in einer guten deutschen Übersetzung parallel zu lesen und sich den Aufbau des jeweiligen Buches mittels einer „Bibelkunde“ zu erschließen. Die kurzen bibelkundlichen Übersichten zu Beginn der einzelnen Abschnitte können dazu einen ersten Einstieg bieten.
Die Darstellung der Entstehungsgeschichte der einzelnen Bücher des AT folgt dem Aufbau des hebräischen Kanons (vgl. dazu die Übersicht unter 4.3). Da es hier um die Ursprünge des AT geht und die deutschen Übersetzungen sich an unterschiedlichen älteren Versionen orientieren und darum verschiedene Anordnungen zeigen, bietet sich dieses Vorgehen an.
Umfang des Pentateuch
Das AT wird eröffnet durch die fünf Mosebücher, die nur im deutschen Sprachraum so bezeichnet werden. Die hebräischjüdische Tradition redet von der Thora (hebr. = Weisung), die Wissenschaft vom Pentateuch (griech.: penta = fünf; teuchos = Gefäß). Die Bücher heißen hier (und in fremdsprachigen modernen Übersetzungen) Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium und folgen darin der LXX. In der hebräischen Bibel lauten die Namen wie die jeweiligen Buchanfänge: bereschit, schemot, wajjiqra, bammidbar und debarim (vgl. 4.3).
Mose als Verfasser?
Gegenwärtig wird kaum ein Bereich des AT so kontrovers diskutiert wie die vermutete Entstehung des Pentateuch. Das hängt mit der Entwicklung der atl. Wissenschaft, konkret der Exegese zusammen, hat aber auch damit zu tun, dass man gerade in diesem Bereich stärker als in anderen auf Hypothesen angewiesen ist. Ich werde im Folgenden die im 20. Jh. n. Chr. vorherrschende Sichtweise darstellen und im Anschluss gegenwärtige Anfragen an diese traditionelle Sichtweise formulieren.
Der Pentateuch erzählt die Geschichte von der Schöpfung über die Erwählung Abrahams, die Geschichte der Erzeltern, Israels Aufenthalt in und die Errettung aus Ägypten, der Wanderung durch die Wüste und die Gottesbegegnung am Sinai bis zur Eroberung des Ostjordanlandes. Der Tradition nach geht diese Erzählung auf Mose als Verfasser zurück, wie etwa bei Josephus oder Philo von Alexandrien im 1. Jh. n. Chr. zu lesen ist. Allerdings gibt es hier bereits erste Problemanzeigen. Beide gehen davon aus, dass die Notizen vom Tod des Mose in Dtn 34 nur visionär geschrieben sein können; später wird angenommen, die Verse stammten von Josua. Im Mittelalter und während der Reformationszeit kommen weitere Beobachtungen hinzu. So weist der jüdische Gelehrte Ibn Esra aufgrund von Gen 36,31 und Dtn 1,1 darauf hin, dass der Pentateuch im Westjordanland – und damit eindeutig nach dem Tod des Mose – geschrieben worden sein muss. In der Folgezeit verstärken sich die Zweifel an der Verfasserschaft des Mose, ohne dass es zu einem wirklichen Durchbruch kommt. Dieser gelingt erst mit der Aufklärung im 18. Jh. und der verstärkten Wahrnehmung von Textunebenheiten.
ältere Urkundenhypothese
Anfang des 18. Jh. bemerkte der Hildesheimer Pfarrer B. Witter, dass sich in den beiden Schöpfungsgeschichten Gen 1,1–2,4a und 2,4b–3 unterschiedliche Bezeichnungen für Gott finden, nämlich in der später als älter erkannten Geschichte von Gen 2 „Jahwe“ (= Name des israelitischen Gottes – in der älteren Sekundärliteratur „Jehova“ aufgrund eines Missverständnisses der hebräischen Texttradition) und in der jüngeren Geschichte von Gen 1 „Elohim“ (hebr. = Gott). Ganz ähnliche Beobachtungen machte unabhängig davon der Leibarzt Ludwigs XV. Jean Astruc. Beide nahmen an, dass Mose hier zwei unterschiedliche Quellen verarbeitet hätte. Während Witters Arbeit unbeachtet blieb, wurde die Arbeit Astrucs von G. Eichhorn in seiner „Einleitung in das Alte Testament“ (1780ff.) aufgenommen und fortgeführt. Nach ihm ist der Textbestand aus zwei Quellen durch einen späteren Redaktor zusammengefügt worden – die sogenannte ältere Urkundenhypothese.
Fragmentenhypothese und Ergänzungshypothese
Bevor die neuere Urkundenhypothese Gestalt gewann, gab es zwei weitere gewichtige Hypothesen, welche die neuere Urkundenhypothese mit bestimmt haben. Unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzestexte sowie des Deuteronomiums, die sich nur schwer den Quellen zuordnen lassen, entstand die Fragmentenhypothese. A. Geddes und J.S. Vater meinten um 1800 herum feststellen zu können, dass der Pentateuch nicht aus durchlaufenden Quellen, sondern aus einzelnen Überlieferungsblöcken zusammengestellt worden sei. Kern des Ganzen sei das Deuteronomium. Als eine Kombination beider Hypothesen entwickelten H. Ewald und F. Bleek (neben frühen Arbeiten von W.M.L. de Wette) die Ergänzungshypothese. Danach wäre eine durchlaufende Erzählquelle mit der Gottesbezeichnung Elohim durch einzelne Fragmente ergänzt worden.
neuere Urkundenhypothese
Zunächst nur für die Genesis wurde die neuere Urkundenhypothese entwickelt. H. Hupfeld entdeckte 1853, dass es innerhalb der Elohim-Schicht so große Diskrepanzen gibt, dass man höchstwahrscheinlich mit zwei unterschiedlichen Elohim-Quellen rechnen muss. De Wette konnte 1854 darüber hinaus...