: Salman Rushdie
: Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte Roman
: C.Bertelsmann Verlag
: 9783641174903
: 1
: CHF 2.70
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: Erzählende Literatur
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2023 »für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert.« (Aus der Begründung der Jury)

Salman Rushdie erzählt in seinem neuen Roman eine zeitlose Liebesgeschichte in einer Welt, in der die Unvernunft regiert.

Dunia, die Fürstin des Lichts, verliebt sich in den Philosophen Ibn Rush und zeugt mit ihm viele Kinder, die in die Welt hinaus ziehen. Ibn Rush gilt als Gottesfeind, sein Gegenspieler ist der tiefgläubige islamische Philosoph Ghazali. Die Geister der beiden geraten in Streit. Der Kampf des Glaubens gegen die Vernunft beginnt und entfacht einen so furchtbaren Sturm, dass sich im Weltall ein Spalt öffnet, durch den die zerstörerischen Dschinn zu uns kommen. Die Existenz der Welt steht auf dem Spiel. Dunia entschließt sich, den Menschen zu helfen.

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

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Sehr wenig weiß man, doch viel wurde geschrieben über die wahre Natur der Dschinn, jener Wesen aus rauchlosem Feuer. Sind sie gut oder böse, teuflisch oder gütig? Diese Fragen werden heiß diskutiert. Weitgehend einig ist man sich über Folgendes: Sie sind launisch, unberechenbar und mutwillig, können sich mit hoher Geschwindigkeit fortbewegen, Größe und Gestalt wechseln, wenn es ihnen beliebt oder sie dazu genötigt werden, können Sterblichen Wünsche gewähren und haben ein grundsätzlich anderes Zeitgefühl als Menschen. Man verwechsle sie nicht mit Engeln, obgleich manche der alten Geschichten fälschlich meinen, der Teufel selbst, der gefallene Engel Luzifer, der Sohn der Morgenröte, sei der größte der Dschinn. Lange strittig waren auch ihre Wohnstätten. Einige, noch ältere Geschichten behaupten, in durchaus verleumderischer Absicht, dass die Dschinn hier unter uns auf Erden, in der sogenannten niederen Welt, in Ruinen und an vielerlei ungesunden Orten leben wie Müllhalden, Totenäckern, Abtrittsgruben, Kloaken und, wo immer möglich, Misthaufen. Diesen ehrenrührigen Äußerungen nach zu urteilen, täten wir gut daran, uns nach jedem Kontakt mit Dschinn gründlich zu waschen. Sie stinken und übertragen Krankheiten. Berühmte Kommentatoren behaupten freilich schon lange, was wir heute als gesichert ansehen: Die Dschinn leben in ihrer eigenen, von unserer durch einen Schleier getrennten Welt, und diese obere Welt, die manchmal Peristan oder Märchenland heißt, ist zwar ungeheuer groß und weit, ihre Beschaffenheit uns aber verborgen.

Die Dschinn als nicht menschlich zu bezeichnen, erübrigt sich fast, doch die Menschen haben zumindest einige Eigenschaften mit ihren sagenhaften Gegenspielern gemein. In Religionsdingen zum Beispiel gibt es unter den Dschinn Anhänger aller Glaubensrichtungen auf Erden, aber auch Ungläubige, denen die Vorstellung von Göttern und Engeln so fremd ist, wie sie selbst es den Menschen sind. Und obwohl viele Dschinn keinerlei Moral kennen, kennen zumindest einige sehr wohl den Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen dem Pfad zur rechten und dem zur linken Hand.

Manche Dschinn können fliegen, andere kriechen in Schlangengestalt über den Boden oder rennen bellend und die Reißzähne bleckend als riesige Hunde herum. Im Meer und bisweilen auch in der Luft nehmen sie gern das äußere Erscheinungsbild von Drachen an. Dschinn niederen Ranges können auf der Erde ihre Form häufig nicht lange bewahren. Diese amorphen Kreaturen schlüpfen gelegentlich durch Ohren, Nasen oder Augen in die Menschen, nehmen deren Körper eine Weile lang in Besitz und werfen ihn ab, wenn sie seiner überdrüssig sind. Leider überleben die Menschen eine solche Besetzung nicht.

Die weiblichen Dschinn, also die Dschinnya oder Dschinniri, sind noch rätselhafter, noch komplizierter und seltener zu fassen, weil sie Schattenfrauen aus feuerlosem Rauch sind. Es gibt grausame Dschinniri und Dschinniri der Liebe, vielleicht aber sind sie in Wirklichkeit identisch, und grausame Naturen werden von Liebe besänftigt, während liebende Geschöpfe durch schlechte Behandlung zu einer Brutalität angestachelt werden, die wir Sterblichen uns gar nicht vorstellen können.

Dies ist die Geschichte einer Dschinnya, einer hochrangigen Prinzessin, die Blitzprinzessin genannt wurde, weil sie über den Blitz gebot, und die einst, nach unserem Sprachgebrauch im zwölften Jahrhundert, einen sterblichen Mann liebte. Es ist auch die Geschichte ihrer vielen Nachkommen und wie sie nach langer Abwesenheit in die Welt zurückkehrt, sich noch einmal für kurze Zeit verliebt und dann in den Krieg zieht. Erzählt wird des Weiteren von anderen Dschinn, männlichen und weiblichen, fliegenden und kriechenden, guten, bösen und moralisch gleichgültigen, und von der Zeit der Krise, d