Eins
Die Ernte in der Grafschaft Scanlon war schlecht. Die Weizenernte war bestenfalls mager zu nennen und in den Obstgärten hatte Mehltau große Schäden verursacht. Drei Viertel der Apfelbäume waren von der Krankheit befallen, ihre Früchte nicht zu gebrauchen.
Junker Dennis von Gut Scanlon war ein gutherziger Mann und zudem praktisch veranlagt. Dass er seinen bedürftigen Pächtern half, war vor allem seiner Gutherzigkeit zu verdanken. Aber er hatte auch erkannt, dass seine Hilfsbereitschaft einen praktischen Nutzen hatte. Wenn seine Bauern und Arbeiter hungrig blieben, war es nicht unwahrscheinlich, dass sie auf der Suche nach Arbeit auswanderten, in eine Region, die besser dran war. Und wenn sich die Lage in Scanlon irgendwann wieder verbesserte, würde es nicht genügend Arbeiter geben, um die Ernte einzubringen. Also musste man versuchen, die Leute zu halten.
Junker Dennis hatte über die Jahre einen beträchtlichen Wohlstand angesammelt und konnte dadurch auch schwierige Zeiten aussitzen. Doch ihm war klar, dass seine Arbeiter diese Möglichkeit nicht hatten. Darum hatte er beschlossen, etwas von seinem Wohlstand in sie zu investieren. Er ließ eine Garküche für die Arbeiter errichten, für die er selbst bezahlte, und öffnete sie für die Bedürftigen, die auf seinem Grund arbeiteten. Auf diese Weise stellte er sicher, dass seine Leute zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit erhielten. Es war nichts Besonderes – normalerweise eine Suppe oder ein Haferbrei. Aber das Essen war warm und nahrhaft und er war überzeugt, dass die Loyalität seiner Pächter und Arbeiter die Kosten mehr als wettmachen würde.
Die Armenküche befand sich im Park vor dem Haupthaus. Gerüstböcke, auf denen Bretter lagen, dienten als Tische und Bänke. Außerdem gab es einen großen Ausgabetisch. Ein über Holzpfosten befestigtes Segeltuch bot Schutz bei schlechtem Wetter. Allerdings waren die Seiten dieser Konstruktion offen, sodass manchmal der Wind um die Tische blies oder gar Regenschwaden hereintrieb. Doch das Landvolk war aus hartem Holz geschnitzt und diese behelfsmäßige Vorrichtung war immer noch besser, als völlig im Freien zu essen.
Genau genommen war »Küche« nicht ganz die richtige Bezeichnung für diese Einrichtung. Das eigentliche Kochen wurde in der großen Küche im Herrenhaus erledigt. Dann brachte man das fertige Essen zu den hungrigen Pächtern und ihren Familien hinaus. Auch wenn die Armenspeisung an sich umsonst war, war es eine ungeschriebene Regel, dass jeder, der konnte, einen kleinen Beitrag leistete. Die Küche war vor Einbruch der Dämmerung zwei Stunden lang geöffnet, sodass niemand mit hungrigem Magen zu Bett gehen musste.
Es dämmerte schon fast, als ein Fremder sich zum Ausgabetisch schob, ein großer Mann mit schulterlangem, dunkelblondem Haar und der Lederweste eines Fuhrmanns. In seinem Gürtel, an dem sich auch eine Scheide mit einem schweren Dolch befand, steckte ein Paar dicker Stulpenhandschuhe. Der Mann ließ seinen Blick ständig umherwandern, was ihm einen gehetzten Eindruck verlieh.
Junker Dennis’ Mundschenk, der das Kommando über die Suppenküche hatte, musterte ihn misstrauisch. Die Garküche war für Einheimische, nicht für Reisende, und er hatte diesen Mann noch nie vorher gesehen.
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