Heute leben
Heute – so lautet seit über vierzig Jahren der programmatische Titel der Nachrichtensendung des Zweiten Deutschen Fernsehens. Im Unterschied zur ARD mit ihrer Tagesschau, bei der in einer Rückschau der Tag Revue passiert, soll mit dem Namen Heute die Aktualität der Sendung unterstrichen werden: Es geht um das Heute! Sich dem Heute immer wieder neu zu stellen, ist und bleibt eine nicht einfache Aufgabe.
Heute ist nicht Schnee von gestern, eine nostalgische Rückschau auf das Vergangene.
Heute ist ebenso nicht morgen, die Vertröstung auf die Zukunft nach dem Motto: Morgen, morgen, nur nicht heute … Heute ist aktuell, sodass – manchmal im Blick auf den Titel der Nachrichtensendung angesprochen – einem humorvoll die Frage gestellt wird: »Hast du gesternHeute gesehen oder hast du gesternHeute verpasst?«
Das Heute verpassen ist eine Erfahrung, die wir wahrscheinlich alle kennen. Am Abend fragen wir uns manchmal: »Was war denn heute alles los?« Auch verlieren wir als Erwachsene schnell die Sensibilität für das Heute, weil uns die Erinnerungen der Vergangenheit gefangen halten. Wir träumen von der guten alten Zeit und sehen gar nicht die Chancen, die uns heute begegnen. Ebenso belasten uns Erfahrungen, die wir einmal gemacht haben, sodass wir nicht mehr offen sind für das, was uns gegenwärtig herausfordert.
Einerseits sind wir also mit der Vergangenheit befasst, andererseits denken wir allzu häufig an die Zukunft. Es gilt, Visionen zu entwickeln, Risiken zu kalkulieren, Termine zu vereinbaren und vieles andere mehr. Wir wollen die Zukunft in den Griff bekommen. Doch dieser wie gehetzt wirkende Blick nach vorn behindert uns, die Herausforderungen im Heute wahr- und ernst zu nehmen. Oft ist es also gar nicht so einfach, im Heute zu leben.
Für mich ist es immer wieder faszinierend, wie kleine Kinder ganz und gar gegenwärtig leben können, wenn sie etwa im Spiel völlig in ihrer Phantasiewelt aufgehen. Sie leben spontan im Jetzt, und weder die Sorge um morgen, noch die Erinnerung an das Gestern beschäftigt sie. »Jetzt spiele ich Indianer, jetzt habe ich Hunger, jetzt möchte ich die Oma besuchen.« Für Kinder ist die Gegenwart die wichtigste aller Zeiten! Sie verpassen nicht das Heute!
Manchmal erfahren auch wir Erwachsene, wie das Heute unerwartet in unser Leben einbricht. Überraschend begegnen wir einem alten Freund. Wir freuen uns über das Wiedersehen, genießen den Glücksmoment und die Zeit scheint stehenzubleiben. Freilich kann Gleiches auch auf unangenehme Weise geschehen, beispielsweise durch einen Unglücksfall. Alles andere, was uns gerade beschäftigt, wird von jetzt auf nachher zweitrangig. Die schwierige Situation in der Gegenwart bündelt sämtliche Kräfte. Auch in solchen Situationen erfahren wir, wie die Zeit st