Mathe
Wenn es etwas gibt, das ich noch mehr hasse als Matheunterricht, dann sind das Mathehausaufgaben. Dreimal pro Woche trichtert uns unser Mathelehrer die kniffligsten Berechnungen ein, nur um uns dann komplett andere Übungen aufzugeben. Morgen ist der letzte Schultag vor den Ferien, doch er macht wieder mal keine Ausnahme.
Ich sitze auf dem Gatter der Koppel, balanciere mein Rechenheft auf den Schenkeln und male in ein verwackeltes Dreieck einen noch viel verwackelteren rechten Winkel.
Okay. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Ich könnte mit meinen Hausaufgaben ein wenig sorgfältiger sein. Aber eine klitzekleine Mitschuld an den zittrigen Linien trägt Alfie, der mit seinem Kopf zärtlich an meinen Ellbogen stupst. Aber das hätte ich ihm natürlich nie vorgehalten, denn ich liebe Alfie über alles.
Alfie ist übrigens ein strohblondes, norwegisches Fjordpony. Das Besondere an ihm ist seine aufrecht stehende zweifarbige Mähne. Ein echter Blickfang. Er ist einfach wunderschön mit seinem falbfarbenen Fell, das wie Gold in der Sonne glänzt.
Kein Zweifel. Alfie ist ein echter Superstar.
Und der Superstar hat nur Augen für mich. Während Alfies Stallgefährten Jolly und Jill ausgelassen über die Koppel toben, trabt Alfie am Gatter auf und ab und weicht nicht von meiner Seite. Kurzerhand knalle ich mein Rechenheft und das Buch auf den Kiesweg und vergrabe meine Hände in seiner Mähne. Alfie schnauft zufrieden und legt seinen warmen Kopf in meinen Nacken. Einen Moment lang rührt sich keiner von der Stelle und wir genießen die traute Zweisamkeit.
Ich bin total verliebt in ihn, auch wenn er nicht mir gehört. Alfie ist das Pferd meiner besten Freundin Kathi, die hier auf diesem riesigen Bauernhof am Stadtrand lebt. Weil Kathis Eltern vor Kurzem eine ziemlich eitle Araberstute namens Primadonna gekauft haben, die den ganzen Tag gestriegelt, gefüttert und liebkost werden will, kümmere ich mich nun allein um Alfie.
Jeden Nachmittag laufe ich von der Schule zu Kathis Bauernhof, miste Alfies Box aus und mache mit Primadonna und Kathi einen ausgedehnten Ausritt entlang der Kuhweiden. Danach erledige ich am Gatter meine Hausaufgaben, bis mich Papa pünktlich um sechs abholt und zurück in unsere Stadtwohnung bringt.
„Und? Alle Knochen heil, Malina?“, fragt Papa, als ich im Auto sitze. Prüfend lässt er seinen Blick im Rückspiegel über meine Klamotten schweifen.
Papa. Den muss ich euch natürlich auch noch vorstellen. Pferde und Papa, das ist so eine Sache. Bis zu meinem elften Geburtstag hatte er mir das Reiten verboten. Er hatte unsägliche Angst, mir könnte etwas zustoßen. Aber dank Mamas Überredungskünsten bin ich seit zwei Jahren die größte Pferdenärrin unter der Sonne.
Trotzdem frage ich mich, warum gerade ich bei der Geburtslotterie das große Pech hatte und den strengsten Vater des Universums abbekam. Er behütet mich und meine Schwester Chrissi, als wären wir noch im Kindergarten. Fehlt nur noch, dass er einen Detektiv anheuert, der in der Eiche neben meinem Fenster wohnt und mit einem Fernglas in mein Zimmer späht.
Dabei bin ich doch schon dreizehn. Aber in Papa lebt die Hoffnung, dass diese fiese Pubertät wie eine Erkältung vorüberzieht und ich mich bald wieder in die pausbäckige Dreijährige zurückverwandle, die ihren Vater „Dada“ nennt und sich ständig wie ein Äffchen an sein Bein klammert.
Manchmal frage ich mich, was wäre, wenn ich ein Junge wäre. Jede Wette, dann wäre ich ein Riesenweichei und alle würden über mich lästern. Dabei finden mich die Leute aus meiner Klasse als Mädchen mit totalem Pferde