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Als Billy Graves auf seinem Weg zur Arbeit die Second Avenue runterfuhr, ärgerten ihn die vielen Menschen: morgens Viertel nach eins, und noch immer drängten weit mehr Leute in die Bars, als rauskamen, und mussten sich in beide Richtungen durch wogende Knäuel angesoffener Raucher wühlen, die direkt vor den Eingängen standen. Schrecklich, dieses Rauchverbot. Es brachte nur Probleme – nächtliche Ruhestörung für die Anwohner, endlich Ellbogenfreiheit für stressgeile Querulanten und Unmassen hupender Limousinen und Funktaxis, die außer der Reihe Fahrten abstauben wollten.
Es war St. Patrick’s Day, die schlimmste Nacht des Jahres für dieNYPD-Nachtschicht, jene Handvoll Detectives, die unter Billys Kommando zwischen eins und acht für Manhattans sämtliche Verbrechen zuständig war, von Washington Heights bis runter zur Wall Street, solange deren Reviere nicht besetzt waren. Es gab noch weitere schlimmste Nächte, Halloween zum Beispiel und Silvester, aber St. Patrick war die hässlichste, mit der spontansten und primitivsten Gewalt. Stiefelabsätze, stumpfe Gegenstände, Fäuste – eher Stiche alsOPs, aber ziemlich böse Entladungen.
1.15 in der Früh: Wie üblich konnten die Anrufe heute Nacht zu jeder Zeit reinkommen, erfahrungsgemäß waren aber die kritischsten Stunden, vor allem an trinkfreudigen Feiertagen, die zwischen drei, wenn die Bars und Clubs zumachten und alles nach draußen strömte, und fünf, wenn selbst die härtesten Hunde keinen Saft mehr hatten und ins Nirwana torkelten. Andererseits konnte Billy in dieser Stadt nie wissen, wann er sein Kopfkissen wiedersah. Um acht konnte er auf einer Wache sitzen und für die kommende Tagschicht eine gefährliche Körperverletzung protokollieren, während der Täter noch immer flüchtig war oder in der Sammelzelle schnarchte; er konnte im Harlem Hospital oder Beth Israel oder St. Luke’s-Roosevelt in der Notaufnahme rumlungern, Angehörige und/oder Zeugen befragen und darauf warten, dass das Opfer sich entweder verabschiedete oder durchkam; er konnte mit den Händen in den Hosentaschen einen Außentatort ablatschen und mit der Schuhspitze im Müll nach Patronenhülsen stöbern, oder, oder, oder, wenn der Fürst des Friedens zugegen und der Verkehr Richtung Yonkers überschaubar waren, tatsächlich rechtzeitig zu Hause sein, um seine Kinder zur Schule zu bringen.
Es gab echte Draufgänger, selbst im Nachtdienst, aber zu denen gehörte Billy nicht. Er hoffte eigentlich immer, dass im nächtlichen Chaos von Manhattan für sein Team nichts Ernstes anfiel, nur Kleinscheiß, den man der Streife rüberschieben konnte.
»Was geht, Seoul Man«, knödelte er, als er den rund um die Uhr geöffneten Koreaner in der Third Avenue betrat, gleich gegenüber der Wache. Joon, der Nachtkassierer mit der getapten Hornbrille, trug automatisch die übliche Nachtration seines Kunden zusammen: drei halbe Liter Diet Rockstar Energydrink, zwei Päckchen Shaolin-Power-Gel und eine Schachtel Camel Lights.
Billy köpfte eine Dose Go, bevor sie in der Tüte verschwinden konnte.
»Zu viel das Zeug macht noch müder«, lautete der Standardvortrag des Koreaners. »Wie ein Bumerang.«
»Bestimmt.«
Als Billy seine Kreditkarte zückte, fing ihn der Überwachungsmonitor an der Kasse in seiner ganzen Pracht ein: kompakt wie ein Footballer, dazu Hängeschultern, das bleiche Gesicht mit den vor Erschöpfung glasigen Augen gekrönt von einer halben Mistgabelladung frühzeitig ergrauter Haare. Er war zwar erst zweiundvierzig, aber sein Knitterzellophanblick gepaart mit e