: Grete Meisel-Heß
: Die sexuelle Krise Die Berechtigung zum Sexualleben + Die psychopathischen Folgen des sexuellen Elends + Das besondere Sexualelend der Frau + Kritik der Ehe in ihrer heutigen Gestalt + Zur Reform der Prostitution...
: e-artnow
: 9788026833543
: 1
: CHF 1.50
:
: Sonstiges
: German
: 266
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses eBook: 'Die sexuelle Krise' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Diese Arbeit befaßt sich mit einem Thema, über welches dermalen mehr geredet und geschrieben wird, als vielleicht über jedes andere. Wenn aber so viel geredet wird von einer Sache, so ist das immer ein Zeichen großer Not durch sie. So wie der menschliche Körper nur dann gesund ist, wenn man seine einzelnen Teile nicht spürt, so der gesellschaftliche Organismus, wenn sich seine einzelnen Probleme nicht allzusehr aus dem Gesamtgefüge herausheben. Und wenn Hunderte von Stimmen über einer einzigen Frage laut werden, so ist das keinesfalls eine Modeströmung, sondern Not, die nach Ausdruck ringt.' Inhalt: Kritik der Ehe in ihrer heutigen Gestalt Das Wesen der ehelichen Gemeinschaft Das legitime Moment der Ehe Das soziale Moment der Ehe Das Suggestionsmoment der Ehe Kant und die 'Metaphysik der Sitten' Völkergeschichtliches zur Moralfrage Die Errichtung von Extremforderungen Vom Wesen der Liebe Liebesspiel Das Dämonium der Liebe Der Liebeshaß Liebesnot Wesen und Ursprung der Prostitution Die Nötigung zur Prostitution Die 'melancholische Travestie' Der Geldpunkt Zur 'Reform' der Prostitution Ursprung und Notwendigkeit der Frauenbewegung Die Bekämpfung der Frauenbewegung Die Berechtigung zum 'tätigen Leben' Die schädigenden Momente der Frauenbewegung Allgemeine Rassenprobleme Der Sexualkampf Sozialismus und Selektionstheorie Zeugungsreformation Psychologie des Geschlechtskampfes Geschlechtspsychologie des Mannes Kapitel Die Berechtigung zum Sexualleben Die Ursachen des Elends Das besondere Sexualelend der Frau Die psychopathischen Folgen des sexuellen Elends Resolutionen Grete Meisel-Heß (1879 - 1922) war eine österreichische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin.

2. Das soziale Moment der Ehe



Seine Unerläßlichkeit – Das Ideal der sexuell-sozialen Dauergemeinschaft eines Paares – ein ewiges – Dessen Unterschied von der heutigen Dauerehe.

Daß die Aussichten auf Ehe immer geringer, die Hingabe der Frauen immer bedingungsloser, der Wechsel der Beziehungen immer häufiger wird, ist nicht zu übersehen. Einer neuen Ordnung geht logischerweise viel Unordnung voran, und in diesem Stadium halten wir jetzt. »Wie heiratet und verheiratet man«, fragt die alte Fürstin Tscherbatzky in Tolstojs »Anna Karenina« verzweifelt, da es weder mit der französischen noch mit der englischen Methode mehr klappen will. – Im Volk ist der Besitz eines Weibes noch eine Kostbarkeit, um die nicht selten mit Messern gekämpft wird. Das Überangebot an Weiblichkeit ist nur in den »gebildeten« Klassen zu finden. Der sich anbietenden Weiblichkeit gilt das gesellschaftliche Treiben der oberen Stände. Mit allen Mitteln wirbt da die Frau um den Mann. Das Natürliche aber ist, daß der Mann um das Weib wirbt, kämpft, ringt, wütet. Warum das natürlich ist? Erstlich weil, wie schon erwähnt, die Frau der durch die geschlechtliche Vereinigung gefährdete Teil ist, dann weil der Mann das von Natur aggressive Prinzip darstellt. Durch den Bau seines Körpers ist er gezwungen, ein Ziel seiner Begierde zu finden. In ihrer natürlichen Wesenheit aufs gewalttätigste verbildet, in ihren Funktionen zu der befremdlichsten Verkehrung gedrängt – so stehen einander heute die Geschlechter gegenüber. Das legitime Moment der Ehe, von unzähligen äußeren Konstellationen abhängig, mußte dem natürlichen Werbekampf des Mannes um das Weib den Boden abgraben, ihn in sein Gegenteil verkehren. – Dieses Moment der ehelichen Gemeinschaft – das legitime – wird durch eine den Bedürfnissen der Menschennatur besser angepaßte Wirtschafts- und Sexualordnung vielleicht aufzuheben, zu ersetzen, in seiner Wesenheit zu verändern sein. Das Prinzip der Ehe – der Dauergemeinschaft eines Paares – schließt aber neben dem legitimen noch ein anderes Moment in sich, das in seinem Werte unersetzlich erscheint und in jede andere Neugestaltung einer Dauergemeinschaftsform der Geschlechter hinübergerettet werden muß, soll die Menschheit nicht eines wichtigen Haltes verlustig gehen. Dieses Moment ist es, das im letzten Sinne das eheliche Prinzip – über alle Krisen seiner legitimen Erscheinungsform – darstellt, es ist das unentbehrliche Merkmal, ohne die das »Ding« nicht gedacht werden kann, ein hoher Kulturfaktor, der – vom Ansturm, der dem legitimen Prinzip gilt, gefährdet – gerettet und erhalten werden muß. Dieses Moment ist das der offiziellen sozialen Gemeinschaft, die ein Paar eingeht, die wiederum zwei Funktionen erfüllt: einerseits das betreffende Paar nach außen zu schützen – indem durch den unbehindert offiziellen Zusammenschluß die Kräfte der beiden sich mehr als verdoppeln (zwei Energien verbündet, leisten mehr als zwei einzelne, annähernd soviel als drei) – andererseits ihnen Schutz nach innen zu gewähren, gegen die Gefährdung, die einer dem anderen – unverbunden – bedeutet, eine Kunstwehr zu schaffen gegen jene Elementarmacht, »die heute gut ist und morgen beißt«.


Das charakteristische Merkmal der »Ehe« ist, wie wir auch aus der Geschichte der Naturvölker erfahren haben, nicht die Beiwohnung, auch nicht die Schwangerschaft der Frau, sondern der Umstand, daß die Frau das Haus des Mannes teilt und sie sich offiziell als Genossen erklären. Die wirtschaftlich-soziale Gemeinschaft ist ein unerläßliches Attribut der Ehe, alles andere bleibt immer nur ein »Verhältnis«. Nicht nur zusammen »verkehren«, sei es auch dauernd und sei es auch intim, sondern zusammen hausen und wirtschaften und streben, macht – vorausgesetzt natürlich die innere Verbundenheit – die volle Intimität aus. Diese Gemeinschaft erreichbar zu machen, innerhalb einer anderen Sexualordnung, als der heutigen, die in tiefe Unnatur geraten ist und der echten Auslese feindlich entgegensteht – wird die Aufgabe der Zukunft sein. Diese volle häusliche Dauergemeinschaft eines Paares wird in der freiesten Form der Ehe und bei gegenseitiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit erreicht werden müssen. Sie wird sich von der heutigen Dauergemeinschaft dadurch unterscheiden, daß ihr keinerlei Zwang anhaftet, daß sie ein Produkt der reinen Auslese und daß sie vor allem nicht die erste, letzte, ausschließliche und alleinige Form des (erlaubten) erotischen Lebens des Individuums und der Fortpflanzung darstellt,