1. Kapitel
Ein behindertes Kind
In der Welt, in die Apollonia Margarete Steiff am 24. Juli 1847 hineingeboren wurde, war der Platz eines Mädchens und einer Frau ganz genau festgelegt. Ein Mädchen hatte sanft zu sein und sich leicht erziehen zu lassen. Bescheiden, fleißig und folgsam, hatte es nur dann zu reden, wenn es gefragt wurde. Später sollte es tugendhaft sein, hübsch, aber nicht allzu schön, gesund und kräftig, keinesfalls eitel und anspruchsvoll. Eine junge Frau musste sich willig verheiraten lassen, gesunde Kinder bekommen und eine treue Ehefrau sein, die mit dem Geld ihres Mannes sparsam umging, seinen Besitz mehrte, sich ihm unterordnete und seine Tage ruhig und friedlich gestaltete: Sie hatte ein Leben lang für andere da zu sein.
»Das Stufenalter der Frau«, ein Bilderbogen aus dem Jahr 1900, setzte die ideale weibliche Biografie in einer auf- und absteigenden Kurve ins Bild. Er war als Belehrung über zukünftige Rollen gedacht und wurde gern zur Konfirmation oder zur Verlobung verschenkt: Die Betrachterin sieht links das kleine Mädchen, das fröhlich Federball spielt, die von einem Mann umworbene junge Frau, die glückliche Mutter. Den Höhepunkt weiblichen Lebens markiert im Alter von 50 Jahren der erste Enkel – wogegen sich der gleichaltrige Mann im entsprechenden Bilderbogen auf dem Gipfel seines Berufslebens und damit auch seines persönlichen Erfolges befindet. Für die ältere und alte Frau folgen der Verlust des Ehemannes und der einsame Lehnsessel als abfallende Stufen der Lebenslinie. Von frühester Kindheit bis zum Tod bleibt das Leben der Frau auf die Familie beschränkt und durch Männer bestimmt. Ihre Aufgabe ist es, den Fortbestand der Familie zu sichern. Dafür gebühren ihr die Anerkennung und der Dank der Kinder und Enkel. Der Mann dagegen hat sich im Kampf mit der Welt zu bewähren.
Die Rolle der Frau war zur Zeit von Margarete Steiffs Geburt genau festgelegt: Sie sollte Ehefrau und Mutter werden und ihr Lebensglück in der Familie finden.
Dieses auf Mann und Familie zentrierte Frauenbild hatte bei der Entstehung des Bilderbogens bereits eine lange Tradition, wurde doch stets die Erscha