Bessure towe
Galizien
Der Prosteck. – Cheder. – Chassidim. – Masser.
Herz Maisel galt bei den Chassidim, den Zeloten, die in Sadagora herrschten, als Prosteck. Es ist dies nicht etwa ein Mensch, der die Gesetze verletzt, aber ein Simpel, der die Welt nicht versteht und deshalb stets an der Schattenseite stehen bleibt. Und doch hatten ihn die Chassidim sorgsam beschützt, als er zur Welt kam und während er sich die Kinderschuhe ablief, sie hatten Alles gethan, um sein Glück auf Erden und im Himmel zu sichern.
Kaum war Herz geboren, gab der Zadik, der weise wunderthätige Rabbi der Chassidim, dem Himmel und Hölle gehorchten, seinem Vater einen Zettel. Sein Vater hatte einen besonderen Eifer entwickelt, dem Zadik die Lulka (Pfeife) zu stopfen, er hatte also ein Anrecht auf diesen Zettel, welcher den Neugeborenen während der ersten acht Tage beschützen sollte.
In dieser Zeit umschwärmt nämlich Lillith, die schöne Teufelin, das Haus im Bunde mit ihrem Gefolge von vierhundert und achtzig unreinen Geistern. Der Pergamentstreifen mit den Namen der drei Engel Senoï, Sansenoi und Sammangelef an den Thürpfosten genagelt, beschirmte den kleinen Herz vor dieser Vorhut des höllischen Heeres.
Nun rückten aber andere Dämonen an, zu Tausenden, zu Millionen. Wieder ging der Vater zum Zadik, und diesmal brachte er einen ganzen Stoss kleiner Zettel mit, sorgsam in sein rothes Schnupftuch gewickelt. Auf diesen Zettelchen standen die Namen der Erzväter und Erzmütter, der Propheten und der grossen Talmudisten und Zadikim und noch verschiedene kräftige Stellen aus der heiligen Schrift und dem Talmud.
Es galt nun dieselben richtig zu vertheilen. Abraham, Isaak und Jakob wurden rechts vom Kinde postiert, Sarah, Rebekka, Lea und Rachel links, Moses und der grosse Bescht, der Begründer des Chassidismus kamen unter den Kopfpolster. Mit den übrigen Zettelchen wurden die Fenster, die Schlüssellöcher, der Rauchfang und die Ritzen in der Mauer besetzt.
An die Thüre kamen die Namen der Engel Jehoel, Michael und Sangsagael, welcher der Lehrer des Moses war und die Stelle aus dem Psalm 55: »Er erlöst mein Leben, dass sie sich mir nicht nahen können.«
Trotzdem wollte der kleine Herz kein kaballistisches Genie werden, ja er lernte in der Cheder nur mit Mühe hebräisch lesen. Aleph und Beth waren für ihn zwei Dämonen, die ihn quälten, er verwechselte sie unausgesetzt, und der Melamed (Lehrer) verschwendete vergeblich alle seine Geduld an ihn, wenn der Unglückliche vor dem Sidur (Gebetbuch) sass. Vergeblich zeigte er ihm immer wieder die Buchstaben mit dem Deutel (Stäbchen), vergeblich versprach die hübsche, dunkeläugige Rebezin (Frau des Lehrers) dem Chederjüngel Kuchen und Obst. Die Hühner, welche in dem Schulzimmer umherliefen und gackerten beschäftigten ihn mehr als die Hieroglyphen, welche er entziffern sollte. Da sagte der Melamed: »Höre, Herz, sobald Du Aleph und Beth kannst, wird Dir ein Engel von der Decke einen Groschen herabwerfen.«
Das verstand der Bocher (Junge) und blickte nun mit Eifer statt nach dem Buche, nach der Decke der Stube und erwartete den Groschen mit offenem Munde. Der Melamed griff nun zu einem drastischeren Mittel, er griff in die grosse Dose, die auf dem Tisch stand, schob dem kleinen Herz eine Prise Schnupftabak in die Nase und jagte ihn unter den Tisch, wo schon zwei andere Jüngel dieselbe Strafe erduldeten. Jedesmal, wenn unten ein verzweifeltes Niesen ertönte, rief der Melamed: Zur Gesundheit! und die ganze Cheder rief mit ihm: zur Gesundheit!
Doch Herz begriff noch immer nichts. Es währte lange Zeit, ehe er das Alphabet erlernt hatte und der Melamed erklärte eines Tages, dass er keinen Kopf zum Lernen habe und schickte ihn aus der Schule fort.
* * *
So kam es, dass Herz im Geschäft seines Vaters mitzuhelfen begann, dass der Zadik seine mächtige Hand von ihm zurückzog und dass er ein Prosteck wurde.
Als echter Prostek nahm er ein Weib ohne Mitgift, setzte ein Dutzend Kinder in die Welt und kämpfte