: Ulrike Schmitzer
: Die gestohlene Erinnerung
: Edition Atelier
: 9783903005679
: 1
: CHF 11.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Frau und ihre Mutter brechen in die ehemaligen Siedlungsgebiete der Donauschwaben nach Nordserbien auf, um die Wurzeln ihrer Familie zu suchen. Am Telefon mit dabei: die alte Großmutter. Vor der Abreise hat sie ihrer Enkelin vom Alltag in ihrer Heimat, vom 2. Weltkrieg und der Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager erzählt. Im Auto hören sie sich diese Aufnahme an. Nach anfänglichem Widerstand beginnt auch die Mutter über den Krieg und die Flucht zu sprechen. Ihre Tochter reiht Stück für Stück aneinander und findet allmählich eine Spur in die Vergangenheit.

1967 in Salzburg geboren; Studium der Publizistik und Kunstgeschichte; Redakteurin bei Ö1, freie Filmemacherin und Autorin in Wien; zahlreiche Radiopreise, u. a. Inge Morath-Preis für Wissenschafts-Publizistik 2012. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur 2008; zuletzt erschienen: Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt (2014), Die Flut (2013), Die falsche Witwe (2011), alle Edition Atelier. Als Co-Herausgeberin Bourdieus Erben (2006) und Susan Sontag. Intellektuelle aus Leidenschaft (2007), beide im Mandelbaum Verlag.

DIE SIPPSCHAFT


Das also sind meine Großeltern. Beziehungsweise, das waren meine Großeltern.

Die Sippschaft ist fast komplett ausgestorben. Über Tote zu schreiben, ist keine leichte Angelegenheit. Sie spuken in meinem Kopf herum, sind nur Gespenster. Was bleibt von ihrer realen Existenz? Ist nicht alles reine Fantasie? Oder sehen manche einfach mehr als andere?

Es ist genauso wie damals, als ich meinen Bruder an einem ungewöhnlichen Ereignis teilhaben lassen wollte. Es war ein Sommertag, und ich rannte im Garten auf und ab, ich rannte ums Haus, und ich rannte die ganze Straße ab. Ich hatte eine magische Kraft in mir, ich wurde nicht müde, und ich rannte mindestens dreimal so schnell wie sonst. Ich konnte auch extrem hoch springen. Ich sprang so hoch, dass ich fast die Äste der Bäume berühren konnte. Das war offensichtlich. Mein Bruder konnte es nicht sehen. »Du spinnst«, sagte er. Plötzlich war die magische Energie weg! Ich hab sie seitdem nicht mehr gespürt. Was hätte ich alles damit machen können!? Ich hätte Marathonläuferin, sogar Triathlonwettkämpferin werden können. Ich hätte Weltmeisterin im Stabhochspringen werden können, ich hätte die Wüste durchlaufen können.

So geht es mir nun mit den Gespenstern. Ich sehe sie strickend auf der Couch sitzen, ich sehe sie als Junge auf dem Feld arbeiten und ich sehe sie als Alte Kipferl backen. Sehe wirklich nur ich ihre S