Die Zeit schreiben Jahreszeiten, Uhren und Kalender als Taktgeber der Literatur
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Alexander Honold
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Die Zeit schreiben Jahreszeiten, Uhren und Kalender als Taktgeber der Literatur
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Schwabe Verlag (Basel)
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9783796532412
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Schwabe reflexe
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1
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CHF 15.50
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Sprach- und Literaturwissenschaft
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German
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293
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Über Zeitsinn und Rhythmen der Literatur Herbstmesse und Osterfest, Weihnachtstage, Mittsommernacht und etliche andere Zeitmarken bilden das Gerüst einer Kalenderordnung, die unserer säkularen Gegenwart als letzte ernsthafte Form der Frömmigkeit verblieben ist. Die alten Römer handelten (so Karl Philipp Moritz, frei nach Ovid) religiös richtig, indem sie mit der Zeit gingen, sich am Zyklus der Kulte und Festzüge orientierten. ?Zeitfromm? ist heute - in einer grenzenlos vernetzten Welt, wo Prozessoren und Maschinen permanent in Betrieb sind - die Pietät gegenüber althergebrachten Sonderzeiten, erst recht aber der Glaube an die ultimative Gerichtsbarkeit von Terminen und deadlines. Der Umstand, dass es Zeit 'gibt', wird in antiken Mythen als erklärungsbedürftiges Wunder behandelt und auf ein kosmisches Theater der Götter zurückgeführt. Auch in Gedichten, Liedern, Dramen und Erzählungen vergeht Zeit; dies meist in einer sorgfältig angeordneten Weise, als wohlgeformte, in sich gegliederte Abfolge. Die Lyrik akzentuiert das saisonale Wechselspiel der Elemente und Temperaturen, das Drama die handlungsentscheidende Funktion des Augenblicks, und im Roman kommt zutage, wie unterschiedlich gleiche Zeitstrecken erlebt oder genutzt werden. Dieses Buch stellt Texte und Motivzusammenhänge vor, in denen die Zeit selbst im Vordergrund steht und in ihrer Mannigfaltigkeit zu Wort kommt. Die Studie setzt vor 1800 ein mit jener doppelten Neugründung astronomischer und gesellschaftlicher Zeit, die durch den französischen Revolutionskalender angestoßen und dann flankiert wurde von einer naturpoetischen Ästhetik des Jahreslaufs (Rousseau, Schiller, Hölderlin). Relativiert ist dadurch die kanonische Autorität des Kirchenjahres, dessen seelsorgerische Programmatik in Droste-Hülshoffs Geistlichem Jahr noch einmal zur existentiellen Entfaltung gelangt. Schon aber treibt Büchners Dramatik die melancholische und die komödiantische Seite eines durch Arbeit entleerten Daseins hervor. In der Moderne sind es die widerstreitenden Kräfte von langer Dauer und Plötzlichkeit (Thomas Mann), von archaischer Elementarzeit und Uhrenkunst (Ernst Jünger), die an den großen Zeitstrom unterhalb des Wechsels gesellschaftlicher Ordnungen erinnern, zuletzt in der Wiederkehr des Kalendererzählers am Schnittpunkt von historischer Dokumentation und politischer Einbildungskraft (Alexander Kluge). Ein Buch über die Zeit als den Taktgeber der Literatur und des kulturellen Lebens. Es reflektiert in intensiven Auseinandersetzungen mit poetischen Werken das menschliche Bedürfnis, sich in gemeinsamen Rhythmen zu bewegen und zugleich darin die Zeitlichkeit einer je eigenen Geschichte zu erfahren
Alexander Honold, geb. 1962 in Chile, ist Ordinarius für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel.
1. Die Zeit schreiben
9
2. Karl Philipp Moritz’ Anthusa
37
Der Kalender als Gegenstand der Kulturbetrachtung
37
Eine zeit- und lebenszugewandte Religion
41
Umrandung von Ort und Zeit
47
Synchronisierte Rituale
56
Geschichtliche Stellvertretungen
61
3. Der französische Revolutionskalender
67
Die neue Zeit und ihr Kleid
67
Der Kalender als Medium
73
Revolution des Kalenders – Kalender der Revolution
79
4. Hölderlin und Schiller
89
Im Chorus: Deutsche Literatur und Französische Revolution
89
Vermächtnis der Zeit: Empedokles am Krater
93
Schillers Eid-Genossen und der Funke der Brüderlichkeit
98
5. Johann Peter Hebels Kalendergeschichten
107
Der Kalendermann
107
Unverhofftes wieder sehen
120
6. Büchners Leonce und Lena
129
Fama oder fame – die Kunst und das Brot der Komödie
129
Die närrische Lehre des Stundenschlags
135
Der Kampf zwischen Fastnacht und Fasten
144
7. Annette von Droste-Hülshoffs Geistliches Jahr
151
Versammlung von Gedichten
151
Geisterzeit und geistliche Zeit
155
Nach Christus, vor der Parusie
162
Glauben, Zweifeln, Fragen
168
Das weltliche versus das geistliche Jahr
173
Ruhe vor dem Sturm: die mantische Dichterin
182
8. Zeitzeichen auf dem Zauberberg
191
Die Unwirklichkeit der Sterne
191
Maß und Maßlosigkeit der Höhenzeit
194
Woraus nichts hervorgeht
200
9. Ernst Jünger, Paul Celan und die Nachkriegszeit
203
Leben und Werk im Widerstreit
203
An der Zeitmauer – und was dahinter bleibt
205
Der Sand in den Uhren
209
Der Sand aus den Urnen
217
10. Alexander Kluges Chronik der Gefühle
229
Das Capitol in Trümmern
230
Oper an der Front
233
Eine Kalendergeschichte in mehreren Angriffswellen
236
Die Chronik der Zwischenfälle
242
Nachweise
251
Anmerkungen
253
Literaturverzeichnis
283
Abbildungsverzeichnis
294
Dank und Drucknachweise
295