1. Kapitel
WAS EIN FAHRENDER SCHÜLER ZU BERICHTEN WEISS
Mitten in den Alpen ragt auf einem Felsvorsprung ein elend hoher Steinhaufen himmelan. Leicht schräg, viereckig und vierstöckig, ist er zu einer Turmburg aufgerichtet. Der Burgstall von Hospental. Passfahrer mit dem Motorrad rattern unten vorbei. Wer von ihnen würde da schon einen Stopp einlegen? Auf einem der oberen Stockwerke des Uralt-Bauwerkes nisten Rotschwänzchen. Einst passierten hier die Säumer zum Sankt Gotthard mit ihren Lasttieren. Im Takt begleitet vom Klimbim des von Glöcklein behangenen Saumzeuges. Über die Berge transportierten die Säumer – je nach Richtung – Käse, Reis, Olivenöl, Weinfässchen, Wolle, Textilien, Schmuck, Waffen und schmiedeiserne Geräte. Mit dabei waren fast immer Postsachen. In einem guten Jahr der alten Zeit gab es in Flüelen und Luzern vielleicht mal 180 Tonnen kostbare Ware zu verzollen. Also weniger als die Last von fünf Schwertransportern, die heute im Autobahntunnel zwischen Göschenen und Airolo grusslos aneinander vorbeidonnern.
Oben auf den Passstrassen macht der älteste Steinheilige im Alpenraum Musik. Stephanus. Stefan. Stefano. Etienne. Istvàn. Steve. Über alle vier Winde dringt seine Stimme in den Äther. Für sein Lied braucht er keine elektronische Verstärkung. Der Held aus der Bibel fand einen gewaltsamen Tod. Seine Feinde haben Steine auf ihn geworfen