: Franz Dobler
: Falschspieler Erzählungen
: Fuego
: 9783862870547
: 1
: CHF 1.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 120
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sechs Geschichten mit vollem Unterhaltungswert: Durch bizarre Stimmungslagen, alltägliche Szenen, robuste menschlische Mentalitäten, Schattenbilder brauner Vergangenheit und Liebesromanzen führt Dobler dem Leser im Deutschland der 80er Jahre herum. Er treibt dabei des öfteren ein falsches Spiel mit den Protagonisten, so dass in den Geschichten so manche gezinkte Karte auftaucht. Und immer herrscht eine merkwürdige Spannung, der Leser bewegt sich auf doppeltem Boden. Dobler versteht es, 'eine genaue Weltbeschreibung in ein Zwiegespräch zwischen Punkt und Komma' zu packen, heisst es in Theater 87. 'Großmäuligen bayerischen Realismus' gesteht ihm Michael Buselmeyer zu. Und der Wiener zählt Dobler zu den neuen 'Theaterrebellen' zur 'Pop-Generation' auf der Theaterbühne.

Franz Dobler, geb. 1959 und aufgewachsen im oberbayrischen Schongau, lebte von 1979-91 in München, seitdem in Augsburg. Veröffentlichungen seit 1988. Für den Roman 'Tollwut' und den Gedichtband 'Jesse James und andere Westerngedichte' erhielt er 1993 den Bayerischen Literatur-Förderpreis. Sein Roman 'Aufräumen' kam 2008 auf #2 der SWR-Bestenliste. Für den Roman 'Ein Bulle im Zug' wurde er mit dem Deutschen Krimipreis 2015 ausgezeichnet. Neben Erzählungsbänden und Hörspielen erschienen auch einige Musikbücher, u.a. die Johnny Cash-Biographie 'The Beast In Me' und der umfangreiche Bildband 'Rock'n'Roll Fever' (eine Kollaboration mit dem Berliner Maler Guido Sieber). Artikel (meist über Musik, Literatur und Popkultur) erschienen u.a. in Häuptling Eigener Herd, FAZ bzw. Sonntagszeitung, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, junge Welt, Freitag, Rote Fabrik Zeitung (CH), Die Wochenzeitung (CH), Die Zeit, Spex, Rolling Stone. Außerdem Herausgeber einiger Musik-Compilationen, seit ca. 100 Jahren Diskjockey, und ehrenamtlicher Mitarbeiter (als Leiter einer Literatur- und Diskussionsrunde) in einer Jugendarrestanstalt.

Karo, meine Marke


Ich weiß nicht, ob Sie rauchen, was Sie rauchen, und ob Ihnen die Zigarette, die Sie rauchen, etwas bedeutet. Meine Marke ist Karo. Aber ich glaube nicht, dass diese Geschichte für Nichtraucher schwieriger zu verstehen ist.

Jahrelang kannte ich von der DDR nur das, was man vom Hörensagen kennt: Es gibt keine freien Wahlen, ein Korrespondent wird ausgewiesen, eine Tante bekommt keinen Kaffee, ein Flüchtling wird an der Mauer erschossen, die Autos sind schlecht und die Mitglieder des Zentralrats der DDR fahren bessere.

Das Land selbst lernte ich erst kennen, als ein Freund nach Westberlin übersiedelte, um dem westdeutschen Militär nicht dienen zu müssen, und ich einige Male im Jahr die Transitstrecke fuhr, um ihn zu besuchen.

Fast alle Leute, mit denen ich auf dieser Strecke unterwegs war, schimpften über das schlechte Essen in den Raststätten; aber sie mussten dort essen, weil es für Westdeutsche so billig ist. Das Essen ist nicht schlechter als in allen anderen Raststätten, die ich kennengelernt habe. Man schimpfte außerdem über die schlechten Straßen und die strikte Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h; beides kümmerte mich nicht, ebenso wenig wie die angeblich besonders langen Wartezeiten an den Grenzübergängen, bei denen ich die Gelegenheit nutzte, die Beamten zu beobachten. Sie verhielten sich nicht anders als die Grenzer anderer Länder, die ich erlebt habe.

Wenn an den Raststätten gehalten wurde, hielt ich Ausschau nach einer Begegnung. Aber ich hatte gehört, dass einen das leicht in Schwierigkeiten bringen kann und traute mich deshalb nie, jemanden anzusprechen. Auch sah ich nie etwas, was das Gerücht bestätigt hätte, an diesen Plätzen würde eine rege Prostitution stattfinden, die für Westdeutsche ähnlich günstig ist, wie der Kauf von Zigaretten.

Eines Tages schlenderte ich durch einen Intershop, und zum ersten Mal fiel mir das reichhaltige Angebot an Ost-Zigaretten auf; aus Neugier, und weil ich nicht das Geld für eine Stange West-Zigaretten hatte, verlangte ich einige Schachteln aus dem einheimischen Angebot. Vom äußeren Eindruck der Schachteln ausgehend, nahm ich die ovale und filterlose Orient Exquisit von der zehn Stück in verschnörkelt gestalteter, gelber Verpackung mit herausziehbarer Einlage 2.40 kosten; Inka, hinter deren klingendem Namen sich die übliche, parfümiert duftende Filterzigarette mittlerer Stärke für 3.50 in aufdringlich rot-weiß-glänzender Verpackung verbirgt; und dann entdeckte ich noch eine schmucklose, schwarzweiße Packung, deren rote Schrift ich auf die Entfernung über die Ladentheke nicht lesen konnte und auf deren Namen am Regal auch nicht hingewiesen wurde.

»Karo?«, fragte die Verkäuferin, als sie nach mehreren Fehlgriffen das erwischte, worauf mein Finger deutete.

Der Name gefiel mir.

Ich klemmte die Tüte aus Packpapier unter den Arm und ging zum Wagen zurück. Auf dem Beifahrersitz legte ich mir alle Schachteln in den Schoß, um sie genauer zu betrachten.

Der junge Mann, mit dem ich nach Westberlin fuhr, wenn ich mich recht erinnere, ein Angestellter der dortigen Elektrizitätswerke, grinste, als er sah, was ich gekauft hatte.

»Das sind die Schlimmsten«, sagte er, als ich die Karo in die Hand nahm. Er selbst rauchte nicht.

Von Karo kosten 20 Stück 1.60, eine billige Sorte, wenn man bedenkt, dass die in der DDR gängige Inka mehr als das doppelte, und Orient Exquisit das dreifache kostet. Mir schien das ein Hinweis, dass der Fahrer mit seinem Urteil, das er von Bekannten übernommen hatte, recht haben könnte.

»Anzünden und wegwerfen!«, lachte er und erzählte eine Zigarettengeschichte von jemandem, der in Russland gewesen war; die russischen wären die allerschlimmsten.

Er gefiel mir nicht. Ich behielt die Schachtel weiter in der Hand.

Die Karoschachtel hat das Format der filterlosen Gauloises. Dieses eher robuste als elegante Aussehen wird bei Karo durch die fehlende Zellophanhülle noch verstärkt. Die Schachtel selbst ist aus grober Pappe, und es ist deutlich zu erkennen, dass an zwei Streifen geklebt wird, um aus d