: Dacia Maraini
: GERAUBTE LIEBE
: edition fünf
: 9783942374705
: 1
: CHF 10.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Mutter, die erlebt, wie ihr Mann die gemeinsame, lang ersehnte kleine Tochter zur Schönheitskönigin hochstilisiert. Eine junge Frau, deren nette Bekanntschaft aus dem Fitness-Studio sich zum rasenden Stalker entwickelt. Eine Journalistin, die auf Dienstreise von einem hilfsbereiten Herrn mitgenommen und missbraucht wird. Acht Geschichten von Frauen, deren Liebe oder Vertrauen in Männer enttäuscht wird und die doch nicht auf Hilfe hoffen dürfen, selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel steht. Wie bereits in ihrem gefeierten Roman »Stimmen' beschreibt Dacia Maraini einfühlsam und mit großem Respekt vor dem individuellen Schicksal wie die gesellschaftlichen Strukturen das Verhalten der Männer begünstigen und Frauen wenig Raum für selbstbewusstes Handeln lassen.

Dacia Maraini (*1936), heute eine der wichtigsten Stimmen Italiens, begann sehr früh zu schreiben, nachdem ihre Familie aus dem japanischen Exil nach Süditalien zurückkehrte?? in eine ihr fremde männerdominierte Kultur. Ihren Erstling »La vacanza' (»Tage im August', erschienen 1963), schrieb Maraini mit 17. 2011 war sie für den Man Booker International Prize nominiert.

MARINA
IST DIE TREPPE RUNTERGEFALLEN


Gianni Lenti, ein junger Arzt, sitzt auf einem Hocker in der Notaufnahme. In der Hand hält er einen Plastikbecher mit Kaffee, in seinen Ohren stecken Kopfhörer, aus denen eine sanfte, exotisch anmutende Musik dringt. Gerade lauscht er einer seiner Lieblingsstellen, sie erinnert ihn an die Bilder von Gauguin, die er vor Kurzem erst in einer Ausstellung gesehen hat. Barfüßige Frauen mit Blumen im Haar, im Hintergrund blaue Pferde, Palmen mit großen wogenden Blättern, die er sich duftend und weich vorstellt.

Heute ist endlich einmal Zeit zum Durchatmen. Den ganzen Morgen über nur ein Schlaganfall. Zum Glück. Eigentlich könnte ich mir ein Eis holen, denkt er. Genau in dem Moment sieht er, wie sich die Glastür öffnet. Vor ihm steht ein junges Mädchen mit vorstehenden Wangenknochen und langen kastanienbraunen Haaren, das nun schleppend näher tritt, mit einem offenkundig gebrochenen Arm.

»Vorbei mit der Ruhe«, murmelt er und geht ihr entgegen. Was zum Teufel ist denn mit der passiert. Als ob ein Lastwagen sie überfahren hätte. Überall blaue Flecken, und der Arm baumelt ihr einfach so an der Seite.