: Wolfgang Hermann
: Die Kunst des unterirdischen Fliegens Roman
: LangenMüller
: 9783784482149
: 1
: CHF 8.70
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Selten war eine gescheiterte Existenz sympathischer! Was haben eine neurotische italienische Tänzerin, das Studium der Betriebswirtschaftslehre und ein Wochenendworkshop beim Männerbüro gemeinsam? Sie bilden Stationen im Leben des Ich-Erzählers, der davon träumt, ein richtiger Mann zu werden. Wenn da nicht seine Liebe zum Nichtstun, zum Flanieren und zu allen schönen Dingen des Lebens wäre. Helga, der alles gelingt, zeigt wenig Verständnis für die Schwächen ihres Mannes, der im Grunde seines Herzens genau weiß, dass er die an ihn gestellten Erwartungen nie erfüllen wird. Ihm genügt das einfache Leben in der Pension Maria, wo er, nachdem ihn seine Frau des Hauses verwiesen hat, das Dasein eines Tagträumers lebt. Ein Roman, der dem Leser keine andere Wahl lässt, als diesen versponnenen Einzelgänger zu lieben.

Wolfgang Hermann, 1961 in Bregenz geboren, studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Seit 1987 arbeitet er als freier Schriftsteller und veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Hörspiele, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Nach längeren Aufenthalten im Ausland lebt er heute in Wien. Sein Roman 'Abschied ohne Ende' erschien 2012 bei LangenMüller.

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Meine Frau hat gedroht, mich zu verlassen, wenn ich mich nicht zum Familienstellen-Seminar anmelde. Sonst ist sie nicht so. Aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann müssen sich alle anderen danach richten. Und alle richten sich danach. Wie macht sie das?

Ich bin ein Mann der alten Schule. Das heißt, mein Vater war ein Mann der alten Schule. Und er hätte nicht geduldet, dass sein Sohn ein Mann einer anderen Schule wird.

Bei uns zu Hause sah das Mittagessen so aus: Mutter trug das Mittagessen auf, wobei ich ihr selbstverständlich zur Hand ging. Besonderen Wert legte sie darauf, dass wir die drei verschiedenen Salate zu würdigen wussten, die sie wieder einmal zubereitet hatte.

Heute gibt es dreierlei Salate, sagte sie stolz in die Leere des Esszimmers hinein, die mein Vater durch die endlose Landesrundschau auffüllte, die aus dem Radio bellte. Wir sollten alle lückenlos Bescheid wissen über Kanalarbeiten in unserer Heimatstadt, über Gemeinderatswahlen und Verkehrsunfälle. Wenn Mutter, meine Schwestern oder ich sprachen, kam ein scharfes Psst vonseiten meines Vaters, und wenn das nicht half, dann ein: Nun hört doch zu, das ist wichtig!

Seitdem bin ich Hypochonder. Mein Verdauungstrakt reagiert überirdisch sensibel auf Nachrichten beim Essen. Auch Anweisungen und Verbote jeder Art wirken sich bei mir negativ aus. Die Ärzte haben mehrmals meinen Magen gespiegelt, immer ohne Ergebnis. Sie sind eben sensibel, heißt es dann, und man schenkt mir einen Blick, den ich gut kenne. Ich hätte eben auch alte Schule werden sollen, aber es ist schiefgegangen.

Zurück zum Mittagessen. Mutter saß erwartungsvoll bei Tisch und sah meinen Vater und mich an. Ich lobte ihr Essen, besonders auch die Mühe, die sie sich mit den drei verschiedenen Salaten gegeben hatte. Mein Vater hingegen aß hastig, ohne den Blick vom Teller zu heben, als erwarte er, dass sich aus dem Schnitzel, aus der Brokkolistaude jederzeit Ungeziefer lösen könnte, das es in Schach zu halten galt.

Kleinlaut fragte meine Mutter: Schmeckt es dir, Franz? Gebannt starrten wir beide Vater an. Er kaute weiter wie eine Maschine, schluckte und sagte: Wenn es mir nicht schmeckt, sage ich es schon. Und führte die Gabel zum Mund.

Meine Mutter warf mir einen traurigen Blick zu, und ich sagte: Also ich finde es ganz hervorragend, Mutter!

Ein leises Lächeln huschte über ihre Lippen, sie nickte und sagte leise: Danke, ich freue mich, dass es dir schmeckt.

Mein Vater war ein ganzer Kerl. Zumindest trat er so auf. Ich war nicht nur einmal Zeuge, wie er unliebsamen Besuch wie Vertreter, Zeugen Jehovas, Spendensammler mit einem einzigen lässigen Wink zum Verstummen und Davontrotten brachte. Angestellte pflegte er mit ein paar messerscharfen Worten zum Parieren zu bringen. Mein Vater war Unternehmer. Seine Fabrik stellte, soweit ich weiß, Schrauben her. Schrauben und andere Metallteile.

Wenn er ins Haus kam – eigentlich war er immer zu Hause, da die Fabrik direkt daran anschloss, was ihm ermöglichte, uns ganztägig im Auge zu behalten –, roch er nach Metall und Schmierfett. Ich spürte seine Anwesenheit durch die Tür meines Zimmers, bevor er die Stufen in den ersten Stock heraufkam, um ohne Vorwarnung mein Zimmer zu betreten und mir Anweisungen zu geben.

Wenn Vater im Haus war, waren alle Räume von einer sonderbaren El