: Andreas Wagner
: Winzersterben
: Emons Verlag
: 9783863588281
: 1
: CHF 7.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Trubel der hitzigen Erntetage wird der alte Winzer Schlamp tot in seinem Ohrensessel entdeckt, aus dem er seit einem Schlaganfall kaum noch herausgekommen war. Als nur wenige Tage später ein zweiter Winzer tot aufgefunden wird, glauben nur noch diejenigen an einen Unglücksfall, die die alten Geschichten nicht mehr kennen wollen. Kurt-Otto Hattemer aber kennt sie - und er hat einen grausamen Verdacht, wer seine Kollegen auf dem Gewissen hat...

Andreas Wagner ist Winzer, Historiker und Autor. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karls-Universität in Prag hat er 2003 zusammen mit seinen beiden Brüdern das Familienweingut seiner Vorfahren in der Nähe von Mainz übernommen. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. www.wagner-wein.de/Krimi

2

»Was macht denn der Ecke-Kurt im Wingert? Ich dachte, der wäre schon fertig mit der Weinlese.«

Günther Schlamp streckte sich in die Höhe und versuchte, dem Blick seiner Frau zu folgen, die in der Rebzeile neben ihm stand. Entdecken konnte er Kurt-Otto nicht. Das Laub war trotz der beginnenden Verfärbung der Blätter noch zu dicht, aber es war klar, wo er sich in etwa befinden musste. Wie er aussah, wusste er auch, also brauchte er ihn nicht noch zu mustern. Desinteressiert beugte er sich daher wieder nach vorne, um die nächste dunkle Traube in den Blick zu bekommen. »Keine Ahnung, was der macht. Scheint Langeweile zu haben«, sagte er. »Wahrscheinlich scheucht sie ihn daheim herum. Da flüchtet er eben lieber zwischen seine Rebstöcke. So hat er seine Ruhe.«

Insgeheim hoffte er, dass seine Frau den deutlichen Wink verstehen und ihn in Frieden lassen würde. Die Arbeit hier war schon schlimm genug. Da brauchte er nicht auch noch eine Unterhaltung darüber, was Kurt-Otto im Weinberg direkt neben ihnen gerade tat oder nicht tat. Schnell schnitt er die nächste Traube vom Stock. Er kratzte die eingetrockneten Beerchen vorsichtig mit der Spitze der Schere heraus und drehte dann die Traube, um auch die Rückseite zu begutachten. Sie war fast vollständig von einer pelzig weißen Schicht überzogen, von der ein dünner Sporenschleier aufstieg.

Mit einem Seufzen ließ er die verfaulte Traube neben den Eimer fallen. Mindestens ein Drittel Ausschuss. So teuer konnten sie den Spätburgunder aus diesem Weinberg gar nicht verkaufen, dass sich das wieder ausgleichen ließ. Sie waren einfach zu spät dran in diesem Jahr. Der Spätburgunder hätte schon letzte Woche weggemusst. Aber da waren die Bütten und Maischebehälter noch durch die früheren Sorten, den Portugieser und den Dornfelder, blockiert gewesen. Unter normalen Umständen wäre das kein Problem gewesen, weil der Spätburgunder immer ein bis zwei Wochen länger hängen blieb. Die Zeit benötigte er für eine brauchbare Reife. In guten Jahren konnte man bei mäßigem Behang und einer sauber entblätterten Traubenzone, die für ausreichende Belüftung und widerstandsfähige Schalen sorgte, sogar drei Wochen herauskitzeln. In diesem Jahr hatte nichts davon wirklich geholfen. Es war zu warm und zu feucht, schon seit Wochen. Die Trauben faulten schneller, als sie in der Lage waren, sie zu ernten. Und sie konnten ja nicht aus allem Rosé machen, auch wenn es bei der Fäulnis wahrscheinlich besser wäre.

Das waren die Kehrseiten des Wachstums der letzten Jahre. Seit sein Sohn in den Betrieb eingestiegen war, hatten sie jeden Weinberg dazugenommen, der zu kriegen gewesen war. Zu jedem Preis. Hauptsache, Wachstum. Der Betrieb musste schließlich zwei Familien ernähren und noch Geld für den Ausbau abwerfen. Reichlich Geld. »Dein Investitionsstau der letzten zwanzig Jahre bringt uns noch um«, hatte Markus ihm vorgeworfen. »Hättest du früher schon mal was in den Keller gesteckt, müssten wir jetzt nicht alles auf einmal machen.«

Was konnte er denn dafür, dass sich der Junge nie klar geäußert hatte? »Ich übernehme den Betrieb«, das war erst mit fünfunddreißig gekommen.