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1. Der Ruf
Schon als junger Christ begegnet man dieser Frage: »Hast du schon einmal überlegt, ob Gott dich nicht zum Jungscharleiter berufen hat? Oder zum Kindergottesdienst-Mitarbeiter? Zum Jugendleiter?« Und das hat er wohl, denn dort haben wir unsere ersten Leitererfahrungen gemacht. Aber so leicht werden wir die Frage nicht los. Wir werden älter, wir schließen die Schule ab, und die Frage kommt wieder, in neuem Gewand: »Hat Gott mich vielleicht berufen?« Womit wir für gewöhnlich meinen: »Will er vielleicht, dass ich Pastor, Priester, Evangelist, Missionar werde?« Gott kann einen natürlich in andere hauptamtliche Dienste rufen, aber Berufung im »großen« Sinne meint meist einen dieser christlichen Top-Berufe.
Viele junge Christen ringen mit dieser Frage, die ja so viele andere Lebensbereiche beeinflusst: Heirat und Familie, Wohnort, Ausbildung, Finanzen usw. Die einen sehen früh ihr grünes Licht und gehen geradewegs hinaus in den hauptamtlichen Dienst, in der frohen Gewissheit, Gottes Ruf für sie erfahren zu haben. Andere kämpfen jahrelang und verheddern sich womöglich in einem »Berufungskrampf«, der ihnen die letzte Kraft nimmt. Sie wälzen die Frage hin und her, her und hin, erhalten tausend Antworten gleichzeitig oder auch gar keine, sondern ein einziges leeres Schweigen. Was will Gott denn nun von mir?
Unter älteren Christen findet man dieses Problem nicht selten »von hinten«. Da hat einer als junger Mensch den Ruf gespürt, Missionar oder Pastor zu werden, und Nein geantwortet – weil Eltern oder Freunde ihm abrieten, das Geld nicht reichte oder wegen anderer äußerer Umstände. Aber das dominierende Motiv bei der Rückerinnerung in späteren Lebensjahren ist oft der Ungehorsam:
»Gott rief mich, und ich wollte nicht.« Für diese Menschen ist ihr ganzes Leben ein einziger Holzweg, ein Abirren von dem, was Gott mit ihnen vorhatte. Ihre Selbstanklagen und manchmal auch die Anklagen gegen Gott haben sie bitter gemacht und ihr ganzes Gottesverhältnis in ein traurig-dumpfes Grau getaucht. Der Zug ist abgefahren, und andere Züge gibt es nicht mehr. Einsam und verlassen stehe ich auf dem leeren Bahnsteig …
Aber wie ergeht es denn den anderen – den Glücklichen, die rechtzeitig in den Zug gestiegen sind und »ihre Berufung festgemacht haben«? Nun, viele von ihnen werden fraglos reich beglückt durch ihre Arbeit. Das Gefühl, genau dort zu stehen, wo Gott mich haben will, eine Arbeit zu tun, die mir selbst und anderen guttut, ist etwas vom Schönsten, was der Mensch auf dieser Erde erfahren kann. Mal fliegen die Tage dahin wie eine Möwe im warmen Wind, mal muss man sie roden wie widerspenstige Baumstümpfe, immer aber sind sie voll Leben und Sinn.
Doch andere müssen schwer um ihre Berufung kämpfen. Womöglich täglich plagt sie der Zweifel, ob »das wirklich das Richtige für mich ist«. Es macht ihnen Mühe, ihre Persönlichkeit und ihr Denken ihrer Berufsrolle anzupassen. Widerwärtigkeiten und schwierige Menschen verdüstern das Leben, und es dauert nicht lange, bis auch Gott immer düsterer zu sein scheint; schließlich steckt er ja hinter dieser elenden Berufung, also will er wohl, dass