Erster Theil dieses Buches.
a. Wider den ersten Theil der Diatribe, dadurch sie den freien Willen aufzurichten sucht.
Und zuerst wollen wir, wie es sich gehört, mit der Erklärung des freien Willens den Anfang machen, welche du folgendermaßen abgibst:
„Ferner: unter dem freien Willen verstehen wir hier das Vermögen des menschlichen Willens, nach welchem es der Mensch vermag, entweder sich zu dem, was zur ewigen Seligkeit führt, zu wenden, oder sich davon abzukehren.“
Fürwahr klüglich stellst du die nackte Erklärung auf, ohne auch nur irgend ein Stücklein derselben deutlich zu machen (wie andere zu thun pflegen), weil du vielleicht gefürchtet hast, du werdest mehr als einmal Schiffbruch leiden. Ich werde deshalb gezwungen, die einzelnen Stücke durchzugehen. Wenn man genau zusieht, so findet man, daß dasjenige, worüber die Erklärung abgegeben wird (definitum), sicherlich eine viel umfassendere Bedeutung hat, als die Erklärung (definitio). Von solcher Definition würden die Sophisten sagen, daß sie nichts tauge, weil nämlich die Erklärung das Erklärte nicht deckt; denn oben haben wir gezeigt, daß der freie Wille niemandem als Gotte zukomme. Einen Willen könntest du dem Menschen vielleicht einigermaßen mit Recht zuschreiben, aber das ist zu viel, ihm einen Willen in göttlichen Dingen beizulegen, weil das Wort freier Wille nach dem Urtheil eines jeden, der es hört, gesagt wird von dem, der da vermag und thut gegen Gott, was ihm nur beliebt, durch kein Gesetz, durch keine Herrschaft gebunden. Denn einen Knecht, der unter der Herrschaft eines Herrn handelt, könnte man nicht frei nennen, wie viel weniger aber läßt sich das in Wahrheit von einem Menschen oder einem Engel sagen, welche unter der unumschränktesten Herrschaft Gottes (ich geschweige der Sünde und des Todes) so ihr Leben zubringen, daß sie aus ihren eigenen Kräften auch nicht einen Augenblick bestehen können.
Deshalb streiten schon hier sogleich im Eingang wider einander die Erklärung des Wortes und die Erklärung der Sache, weil das Wort etwas Anderes bezeichnet, als man unter der Sache selbst sich vorstellt. Richtiger hätte man es einen Wankel-Willen oder einen veränderlichen Willen genannt. Denn so thun Augustinus und nach ihm die Sophisten der Ehre und der Kraft dieses Wortes „frei“ Abbruch und machen jenen verkleinernden Zusatz, daß sie ihn einen wandelbaren freien Willen nennen. Und so gebührte es uns zu reden, damit wir nicht mit schwülstigen und prächtigen Worten, da nichts hinter ist, die Herzen der Menschen betrügen, wie auch Augustinus dafürhält, daß wir nach einer bestimmten Regel mit nüchternen und eigentlichen Worten reden müssen. Denn beim Lehren ist Einfachheit und vernunftgemäße Wahl der eigentlichen Ausdrücke (proprietas dialectica) vonnöthen, nicht aber hochtönende Worte und Redebilder, um dadurch zu überreden.
Aber damit es nicht scheine, als ob wir Lust hätten um Worte zu streiten, so wollen wir bei alle dem das dem Mißbrauche nachgeben, wiewohl es ein großer und gefährlicher Mißbrauch ist, daß freier Wille eben dasselbe sei als Wankel-Wille. Wir wollen dem Erasmus auch das nachlassen, daß er aus der Kraft des freien Willens eine Kraft nur des menschlichen Willens macht, als wenn die Engel keinen freien Willen hätten, weil er in diesem Büchlein nur vom freien Willen der Menschen zu handeln sich vorgesetzt hat; sonst wäre auch in diesem Stücke die Erklärung enger als das, was erklärt wird. Nun wollen wir zu den Stücken kommen, um welche sich die Hauptsache dreht. Einige derselben sind klar genug, andere fliehen das Licht, gleichsam als hätten sie ein böses Gewissen und fürchteten alles, da doch nichts deutlicher und gewisser an den Tag gegeben werden sollte, als die Erklärung (definitione); denn etwas dunkel erklären ist gerade so viel, als nichts erklären. Diese Stücke sind offenbar: „das Vermögen des menschlichen Willens“, desgleichen: „nach welchem der Mensch vermag“, desgleichen: „zur ewigen Seligkeit“; aber diese Stücke sind blinde Streiche: „sich wenden“, desgleichen: „zudem, was