Mittwoch, 14. August
1
Kim
Es sollte ihr letzter Tag sein.
Am liebsten wollte sie schon während der Tour aufhören. Doch sie riss sich zusammen, sagte sich, dass keine Gefahr bestand, es nicht so schlimm sei. Schlimmer war es im Herbst: die frühe Dunkelheit, der Regen, die eingeschränkte Sicht wegen der Kapuze. Dann fühlte man sich nicht nur verfolgt, dann konnte man auch nicht schnell genug prüfen, ob es stimmte.
Jetzt, im August – die Straßen hell und trocken, wenn auch wegen der großen Ferien verlassen –, irritierten sie weder blendende Autoscheinwerfer noch spiegelnde Pfützen. Der sperrige Stoff des großen Regencapes, das derAnzeiger seinen Austrägern zur Verfügung stellte, war auch nicht im Weg. Kim konnte sich sicher fühlen; sie war sportlich, schnell, nicht mehr naiv – nicht mehr seit der Trennung – und der Anzeiger hatte sie ein »kluges, kreatives Mädchen« genannt, von dem er noch viel berichten würde.
Das würde er.
Also: nur noch einmal für zwei Stunden das Wägelchen ziehen, möglichst ohne Blasen am Handballen zu bekommen, nur noch einmal vor jedem Haus den unhandlichen Packen Papier auf den linken Arm wuchten, ohne an den Sonnenbrand zu kommen, und mit dem rechten die widerspenstigen Zeitungen in überquellende Briefkästen stopfen, ohne sich die Fingernägel abzubrechen.
Ein letztes Mal.
Denn danach wollte sie kündigen; sie wollte den Brief gleich schreiben, wenn sie nach Hause kam. Sollten die von der Firma versuchen, Stress zu machen, von wegen Vertrag, sollten sie versuchen, sie einzuschüchtern, dann müsste es eben ihr Vater für sie regeln. Kim spürte, wie ihr Puls wieder anstieg. War da nicht doch jemand?
Normalerweise war sie nicht so leicht zu verunsichern. Sie hatte diesen Job über ein Jahr durchgehalten, den ganzen miesen Winter durch. Dabei hatte sie sich nicht wie ihre Mitschülerin Karla Begleitschutz durch den Bruder zugelegt, obwohl ihre Tour durch einen viel problematischeren Stadtteil als Karlas führte.
Kims Route war der Härtefall: In der Langen Straße kamen ständig schlitzäugige, braungestromerte Staffordshires aus den Hinterhöfen, sobald sie das Klappern der Zeitung in den Briefkasten hörten; in der Karlstraße, wo die Hälfte der Häuser leer stand, überfiel sie jedes Mal die totale Traurigkeit, denn es musste einfach ätzend sein, in einem Stadtteil zu wohnen, in dem jedes dritte Schaufenster mit Papier verklebt war und die Klingeln an ihren Drähten heraushingen. Bei manchen Häusern war sie sich anfangs nicht sicher gewesen, ob sie noch bewohnt waren, deshalb hatte sie sie mit Zeitungen versorgt und die Zustellung erst beendet, wenn die Exemplare bei der nächsten Runde grau, nass und aufgequollen auf dem Bürgersteig lagen. Prompt hatte sich eine Frau beschwert, sie habe ihr letzten Mittwoch keine Zeitung gebracht. Bei der Grundschule,