Alpbacher oder das Mädchen aus der Asche
Ich saß auf der Piazza Torquato Tasso in Sorrent und aß gerade einen TellerCannelloni al Mascarpone e Ricotta, als ich Alpbacher sah. Auch wenn unsere letzte Begegnung fast zwanzig Jahre zurücklag, war ich mir doch gleich sicher, dass es sich bei dem auf einem schwarzen Waffenrad vorbeifahrenden Mann mit dem weißen Panamahut um meinen ehemaligen Lateinlehrer handelte. Nicht nur war sein Gesicht mit dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart seit damals fast unverändert, auch das dunkelbraun karierte Sakko ähnelte auf verblüffende Weise dem, das er im Unterricht immer getragen hatte. Was mir aber letztendlich die Gewissheit gab, Alpbacher vor mir zu haben, war seine Art sich zu bewegen, eine genießerische Langsamkeit, die sich jeder Anstrengung verweigerte.
Ich verdiente mein Geld als Hotelkritiker. Schon gut acht Jahre ging ich dieser Beschäftigung nach und war in dieser Zeit fast ununterbrochen unterwegs gewesen. Dass ich einmal drei oder vier Tage an demselben Ort verbrachte, geschah nur selten. Meine Bekannten beneideten mich darum, derart viel in der Welt herumzukommen, ich hingegen bemerkte, wie mir mein Leben durch die dauernden Ortsveränderungen zunehmend unwirklich wurde. Oft brauchte ich morgens nach dem Aufwachen einige Momente, bis ich wieder wusste, wo und manchmal auch wer ich war. Letzteres hatte mit Sicherheit auch damit zu tun, dass ich, um unerkannt zu bleiben, unter wechselndem falschen Namen und Beruf reiste.
Alpbacher war mir immer wie der archetypische Einzelgänger vorgekommen. Wäre er ein Gebäude gewesen, dann eine freistehende Kathedrale. Genauso wirkte er auch auf seine Umgebung. Allein seine Anwesenheit gebot Ruhe, und so ausgelassen die Pausenstimmung auch gewesen sein mochte, sobald Alpbacher den Klassenraum betrat, wurde es augenblicklich still. Niemals musste er sich durch ein lautes Wort oder die Androhung von Strafen Respekt verschaffen. Es reichte sein Gesichtsausdruck, der uns Schüler ernst nahm, schon Jahre bevor wir un