NIKOLAUS VON CUSA –
DENKER AN DER EPOCHENSCHWELLE
Als »ersten Denker der Renaissance« hat man den Kusaner immer wieder bezeichnet, und dies nicht zu Unrecht. Die großen Philosophen der Renaissance, allen voran Giordano Bruno, stehen erkennbar im Bann seines Denkens. Über den Aristotelismus der Hochscholastik ist Nikolaus von Kues in entscheidender Hinsicht hinausgegangen, und zentrale Einsichten seines Denkens verweisen auf die neuzeitliche Subjektphilosophie und die modernen Naturwissenschaften. Denker des Übergangs, wie es der Kusaner in eminentem Sinne war, sind immer besonders anregend. Die Festigkeit von Denksystemen beginnt sich aufzulösen, alte Gewissheiten zeigen Risse, ein Paradigmenwechsel kündigt sich an und lässt sich wenigstens im Rückblick nachvollziehen. Wahrscheinlich macht genau dies die aktuelle Faszinationskraft des Kusaners aus.
Nikolaus von Kues (Cusanus ist die latinisierte Herkunftsbezeichnung) wurde im Jahr 1401 als Nikolaus Chryfftz (= Krebs) an der Mosel, im heutigen Bernkastel-Kues, geboren. Sein Vater war als Schiffer ein relativ wohlhabender Kaufmann, und darüber hinaus ermöglichten adelige Gönner die wissenschaftliche Laufbahn des Cusanus. Diese begann zunächst in Heidelberg mit dem Studium derartes liberales, der »freien Künste«, wo er unter anderem nominalistisches Denken rezipierte.* In Padua wurde er zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert, wo vor allem der Kontakt zu den italienischen Humanisten prägend für ihn wurde, und lehrte schließlich an der Universität zu Köln Kirchenrecht. Parallel zu seiner wissenschaftlichen Laufbahn begann die klerikale Karriere des Cusaners mit der Priesterweihe (etwa um 1440), seiner Teilnahme am Konzil von Basel, seinen diplomatischen Missionen im Auftrag des Papstes (zunächst in Deutschland, dann unter anderem in Konstantinopel bei der seit dem Schisma von 1054 von Rom getrennten orthodoxen Kirche), seiner Ernennung zum Bischof von Brixen und seiner Erhebung in den Kardinalsstand. Abgesehen von seinem philosophischen Werk erwarb sich Nikolaus von Kues Verdienste, indem er die sogenannte »Konstantinische Schenkung« aufgrund von philologischen Untersuchungen als Fälschung entlarvte. Zukunftsweisend ist auch seine religiöse Toleranzidee, die er im Gefolge von Raimundus Llullus vertrat. Seine intensive Auseinandersetzung mit dem Koran ist bis heute beispielgebend für jeden ernsthaften Religionsdialog.
Für das Verständnis seines philosophischen Denkens ist der Einfluss des Neuplatonismus, näherhin des Proklos und des (Pseudo-)Dionysius Areopagita nicht zu unterschätzen. Der Neuplatonismus war in der Spätantike höchst einflussreich, was ja schließlich kein Geringerer als der Kirchenvater Augustinus beweist. Es wäre allerdings verfehlt, von einer neuplatonischen Verfälschung des jüdisch-christlichen Glaubens zu sprechen. Trotz aller aus heutiger Sicht durchaus problematischer Auffassungen bewahrt Dionysius