WELCH EIN DESPERADO!
Übersetzt von Wolfgang Thon
Shy rammte dem Pferd die Hacken in die Flanke. Die Vorderläufe des Tieres gaben nach, und bevor sie auch nur wusste, wie ihr geschah, hatte sich ihr Sattel von ihr verabschiedet.
Ihr wurde ein kurzer, armrudernder luftiger Moment gewährt, um die Lage zu sondieren. Nur war sie nicht sonderlich gut darin, irgendetwas auf die Schnelle einzuschätzen, und die ihr entgegensausende Erde ließ ihr keine Zeit für eine genauere Prüfung. Sie versuchte so gut wie möglich, sich nach der Landung abzurollen, wie sie es bei den meisten ihrer Missgeschicke versucht hatte, aber der Boden spielte nicht mit; er entrollte sie, klopfte sie ordentlich durch und schleuderte sie dann Hals über Kopf in einen von der Sonne ausgedörrten Busch.
Langsam legte sich der Staub.
Sie nahm sich einen Moment Zeit, um Atem zu schöpfen. Dann einen zweiten, um zu stöhnen, als die Welt aufhörte, sich um sie herum zu drehen. Und noch einen, in dem sie vorsichtig einen Arm und ein Bein bewegte und auf den ekelerregenden Schmerz wartete, der ihr sagen würde, dass etwas gebrochen und der erbärmliche Abklatsch ihres Lebens zu Staub zerronnen war. Sie hätte diese Information begrüßt, wenn sie sich dann einfach hätte ausstrecken und aufhören können wegzulaufen. Doch der Schmerz kam nicht. Jedenfalls überstieg er nicht den gewohnten Rahmen. Was ihr elendes Leben anging, erwartete sie also weiterhin den Urteilsspruch.
Shy rappelte sich hoch, zerkratzt, zerschlagen, vollkommen staubbedeckt, und spuckte Sandkörner aus. Sie hatte in den letzten Monaten viel zu viel Dreck geschluckt, aber ihr schwante, dass das noch nicht alles gewesen war. Ihr Pferd lag ein paar Schritte von ihr entfernt. Die schweißbedeckte Flanke des Tieres hob und senkte sich bebend, und seine Vorderläufe waren schwarz von Blut. Nearys Pfeil hatte es in die Schulter getroffen, war jedoch nicht tief genug eingedrungen, um das Pferd zu töten oder es merklich zu verlangsamen. Aber er saß so tief, dass es ständig Blut verlor. So hart wie sie geritten war, hatte sie das Tier ebenso sicher getötet, als wäre ihm der Pfeil ins Herz gedrungen.
Früher einmal hatte Shy Pferde gemocht. Damals war sie ungewöhnlich liebevoll zu Tieren gewesen, obwohl sie Menschen oft abweisend behandelt hatte, meistens zu Recht. Das war schon lange her. Jetzt hatte Shy nichts Liebevolles mehr an sich und nichts Weiches, weder am Körper noch im Kopf. Also überließ sie das Tier seinen letzten, von rotem Schaum begleiteten Atemzügen, ohne es tröstend zu streicheln, und machte sich auf den Weg in die Stadt. Zuerst trottete sie nur, aber schon bald gefiel ihr diese körperliche Anstrengung. Was Laufen anging, hatte sie einen ganzen Haufen Übung.
»Stadt« war eine Übertreibung. Der Ort bestand aus sechs Gebäuden, wobei für zwei oder drei die Bezeichnung »Gebäude« äußerst wohlwollend war. Sie bestanden aus unbehauenem Holz, ein rechter Winkel war offenbar ein Fremdwort, sie waren von der Sonne verbrannt, vom Regen ausgebleicht und verstaubt. Sie scharten sich um einen schmutzigen Platz und einen Brunnen, dessen steinerne Fassung zerbröckelte.
Das größte Gebäude sah aus wie ein Saloon, ein Bordell oder eine Handelsniederlassung und war wahrscheinlich alles drei gleichzeitig. Ein wackeliges Schild klammerte sich an die Bretter über dem Eingang,