Gebeine aus der Vergangenheit
Wie hast du es nur geschafft, dich bei der Wally noch unbeliebter zu machen? Mehr war doch kaum möglich.«
Claudio spießt ein Paar Salatblätter mit gehobeltem Parmesan auf. Wir haben den ganzen Nachmittag bis spät in den Abend hinein gearbeitet. Danach hat er, wie so oft in letzter Zeit, ein gemeinsames Essen vorgeschlagen.
»Immer wenn man sich einbildet, tiefer geht es nicht, entdeckt man, dass die Grenze nach unten noch nicht erreicht ist. Ach, ich mag diesen Song«, sage ich dann. Im Radio läuft geradeRed Rain von Peter Gabriel.
»Pass nur auf, Alice. Wenn Malcomess in Pension geht, kann er nicht mehr seine Hand über dich halten. Weder er noch sein Sohn.«
Ich sehe ihn empört an. »Hältst du mich etwa für seinen Schützling?«
»Nein«, gibt er nüchtern zurück. Er wischt sich mit der Serviette über die Lippen, die bitter ein wenig Pflege nötig hätten. »Ich will damit nur sagen, dass Malcomess bei einigen deiner Patzer beide Augen zugedrückt hat. Und das wird bei der Wally anders sein. Malcomess weiß, dass du im Grunde etwas kannst. Von deiner Beziehung zu seinem Sohn mal abgesehen. Gestatte mir diese kleine Anspielung, ich weiß, sie ist nicht nett, aber ich kann nun mal nicht anders – ich tue denen weh, die ich liebe.«
»Das stimmt nicht. Du kannst nicht anders, weil du von Natur aus verletzend bist.«
»Egal, dieser Salat schmeckt jedenfalls scheußlich. Du hast keine Ahnung, wo man gut zu Abend isst, und das ist der Beweis dafür. Das nächste Mal entscheide ich, wohin wir gehen.« Gott sei Dank hat die Kellnerin bereits die Messer mitgenommen. Er legt seine Gabel auf dem Teller ab und nimmt sich ein Grissino aus dem Brotkorb. Gerade hat er es in eine Ölsoße getunkt, als sein iPhone klingelt.
Er wirft einen Blick auf das Display und wirkt nicht gerade begeistert. »Die Staatsanwaltschaft«, sagt er zu mir und wirkt verdutzt.
»Hast du Dienst?«
»Nein.«
Das Gespräch mit der Person am anderen Ende ist einsilbig, und kurz darauf erfahre ich die Neuigkeit.
»Man hat einen Leichnam gefunden.«
Eine Sekunde lang gefriert mir das Blut in den Adern. Ich habe Angst, dass es sich um Ambra handeln könnte, und offensichtlich hatte Claudio die gleiche Befürchtung.
»Sie fragen, ob ich zu einer Begehung des Fundortes bereit wäre, der Staatsanwalt hat ausdrücklich nach mir verlangt. Tut mir leid, dass ich unser Abendessen ruiniere, aber mir bleibt gerade noch Zeit, um die Rechnung zu bezahlen.«
Ich bin so erleichtert, dass ich begeistert zustimme. Wie immer lasse ich mich einladen. Claudio ist vom alten Schlag, und es würde ihm nicht in den Sinn kommen, die Rechnung mit mir zu teilen.
»Und was haben sie dir noch erzählt?«, erkundige ich mich, während ich in meinen Mantel schlüpfe.
»Genug, um sicher zu sein, dass es sich nicht um Ambra handelt«, erwidert er knapp; er ist ein wenig blass um die Nase. »Es geht um ein Skelett, viel mehr ist nicht übrig. Damit kann sie es nicht sein.«
Er wird ungehalten, weil ich in meiner Tasche nach dem Telefon kram