: Kristine Bilkau
: Die Glücklichen Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641156367
: 1
: CHF 7.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 304
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein großes Generationsporträt unserer Zeit
Isabell und Georg sind ein Paar. Ein glückliches. Wenn die Cellistin Isabell spätabends von ihren Auftritten mit dem Orchester nach Hause geht oder der Journalist Georg von seinem Dienst in der Redaktion auf dem Heimweg ist, schauen sie oft in die Fenster fremder Wohnungen, dringen mit ihren Blicken in die hellen Räume ein. Bei abendlichen Spaziergängen werden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, stilvolle Deckenlampen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen ein wohliges Gefühl geben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Doch das Gefühl verliert sich.

Mit der Geburt ihres Sohnes wächst nicht nur ihr Glück, sondern auch der Druck und die Verunsicherung. Für Isabell erweist sich die Rückkehr in ihren Beruf als schwierig: Während des Solos zittern ihre Hände, nicht nur am ersten Abend, sondern auch an den folgenden. Gleichzeitig verdichten sich in Georgs Redaktion die Gerüchte, der Verlag würde die Zeitung verkaufen. Währenddessen wird ihr Haus saniert. Im Treppenhaus hängt jetzt ein Kronleuchter, im Briefkasten liegt eine Mieterhöhung. Für die jungen Eltern beginnt damit ein leiser sozialer Abstieg. Isabell und Georg beginnen mit einem Mal zu zweifeln, zu rechnen, zu vergleichen. Jeder für sich. Je schwieriger ihr Alltag wird, desto mehr verunsichert sie, was sie sehen. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sagen jetzt: Wir können, ihr nicht. Was vertraut und selbstverständlich schien - die Cafés, Läden, der Park, die Spielplätze mit jungen Eltern -, wirkt auf einmal unzugänglich. Gegenseitig treiben sich Isabell und Georg immer mehr in die Enge, bis das Gefüge ihrer kleinen Familie zu zerbrechen droht.

Kristine Bilkau zeichnet in ihrem Debütroman »Die Glücklichen« das präzise Bild einer nervösen Generation, überreizt von dem Anspruch, ein Leben ohne Niederlagen zu führen, die sich davor fürchtet, aus dem Paradies vertrieben zu werden.

Kristine Bilkau, 1974 geboren, studierte Geschichte und Amerikanistik in Hamburg und New Orleans. Ihr erster Roman »Die Glücklichen« fand ein begeistertes Medienecho, wurde mit dem Franz-Tumler-Preis, dem Klaus-Michael-Kühne-Preis und dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Vor »Nebenan« erschien »Eine Liebe, in Gedanken« sowie »Die Glücklichen« im Luchterhand Literaturverlag. Kristine Bilkau lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

2| Alle aus der Nachbarschaft scheinen handgemachte Brötchen zu wollen, bis vor die Ladentür stehen die Leute Schlange, an einem gewöhnlichen Mittwochmorgen, viele vertraute Gesichter, manche von ihnen grüßen, andere starren mürrisch vor sich hin. Sie mag diesen Andrang nicht, es hat etwas Dümmliches, trotzdem steht sie auch hier. Ihr gefällt die offene Backstube, Hände kneten Teig, verstreuen Mehl, verreiben es auf den Klumpen und kneten weiter. Die groben rotvioletten Hände des Meisters, die schlanken Hände einer jungen Frau, die gerade Petits Fours verziert. Die Brötchen liegen in Körben, keines gleicht dem anderen, manche haben Spitzen wie hervorspringende Nasen, andere knotige Dellen wie Bauchnabel, wie ein Bauchnabel am Ende der Schwangerschaft.

Nachdem sie bezahlt hat, nimmt sie die Tüte vom Tresen und verlässt den Laden. An einer roten Ampel fallen ihr die Zettel ein, sie trägt die Jeans von gestern. Manche tragen zu Konzerten ein bestimmtes Paar Socken, das sie vermeintlich beschützt. Manche hüten einen Bleistiftstummel, legen ihn auf die Kante des Notenständers, in dem Glauben, ohne hätten sie kein Talent mehr. Sie klaubt die zerdrückten Papierschnipsel aus den Taschen und wirft sie in einen Mülleimer.

Georg hat den Tisch gedeckt und nimmt ihr die Tüte ab. Zwei Brötchen hält er sich vor die Brust, aus beiden wölbt sich ein Teigknopf. Bevor das Blech in den Ofen kommt, muss der Lehrling jedem Teil den letzten Schliff geben, stellen sie sich gemeinsam vor, mit dem Finger stippt er in den Teig oder dreht einen Wirbel hinein. »Damit wir merken, dass wir Unikate essen«, sagt Georg. Während sie lachen, werden sie gebannt von Matti beobachtet, dann lacht er mit, und sie können nicht aufhören, weil das unwissende heitere Kind, das nach seinen eigenen Regeln etwas Lustiges entdeckt hat, sie von Neuem ansteckt.

Ihre und Georgs Hand an der Schranktür, »lass nur, ich mach schon«, sagt sie, einen Augenblick schneller als er nimmt sie das Dinkelpulver aus dem Schrank. Im Wasserkocher brodelt es, soll ich? Willst du? Sie kümmern sich zu zweit um ein Kind und kommen sich dabei ständig in die Quere. Georg reicht ihr die Porzellanschale für den Brei, »da steht schon eine«, sagt sie und zeigt zum Tisch.

Er nimmt die Bäckertüte und knüllt sie etwas zusammen. »Steht da Manufaktur drauf?«, fragt er und faltet das Papier wieder ein wenig auseinander. »Natürlich, Idioten«, murmelt er und lässt die Tüte in den Mülleimer fallen. »Und für den eitlen Quatsch musste der andere Laden dran glauben.« Graubrot, Bienenstich, seine Mutter habe dort früher gekauft, und außerdem die besten Schokoladeneclairs seines Lebens. Der alteingesessene Bäcker musste vor fast einem Jahr schließen, weil die Leute sich lieber bei dem neuen die Beine in den Bauch stehen, bis sie an der Reihe sind. Ein Blumengeschäft ist heute in den Räumen des früheren Bäckers,Floristenwerk, denkt sie und sagt den Namen lieber nicht, weil Georg den genauso blöd finden würde wieManufaktur. Dort lagen dicke Blumenbündel in Zinnwannen, allein unzählige Rosensorten. Sie dachte an Postkarten mit historischen Schwarzweißbildern, Fotos von Hinterhöfen und nackten Kindern, die in Zinnwannen badeten. Matti war gerade vier Monate alt, als sie für Georg zum Geburtstag dort einen Strauß Wiesenblumen kaufte. Im Laden roch es nach feuchten Blättern und frisch geschnittenen Stielen. Kräuter wuchsen aus Emaillekübeln, sie waren beschriftet: Bohnenkraut, Liebstöckel, Kerbel, Majoran. Sie stellte sich den Alltag in dieser Gegend vor vielen Jahrzehnten, vor einem Jahrhundert vor, als es einen Milchmann gab, einen Kaufmannsladen, einen Kohlehändler, und als im Winter Eisblumen an den Fenstern wuchsen. Die Augen der Floristin glänzten, als würde sie sich und ihren Laden einfach nur wunderbar finden. Sie trug eine weiße Baumwollschürze mit einer Spitzenbordüre am Ausschnitt. Auf einem Tisch neben der Kasse standen kleine Töpfe, darin Pflanzen mit gelben Blüten, Butterblumen, wie lange hatte sie keine mehr gesehen,Scharfer Hahnenfuß,3 Euro, stand auf einem Schild, das an einem Stäbchen in der Erde eines der Töpfe steckte, so hießen sie also unter Floristen. Als Kind hatte sie Butterblumen auf Kuhwiesen oder Deichen, wo Schafe grasten, gepflückt und achtlos wieder fallen lassen oder einer Kuh unters Maul gehalten. »Das wären dann fünfunddreißig Euro«, sagte die Verkäuferin und wickelte den Strauß in Seidenpapier. Sie weiß noch genau, dass sie sich anstrengte, nicht überrascht oder erschrocken zu wirken, denn sie hatte nicht genug Geld dabei, auch keine Karte, sie musste nach Hause, den Rest holen. Auf dem Weg fühlte sie sich hintergangen, nicht allein wegen der Summe, auch wegen der Zinnwannen und Butterblumen. Sie nahm sich v