Wieder einmal für Corinna,
wieder einmal mit Dank,
diesmal für besonders viel Geduld.
Ach, lieber Onkel Zeppelin,
Ach, lass dich doch erbitten,
Komm über unsre Gegend hin
Mal durch die Luft geglitten!
So recht mit surrendem Gebraus
Und mit Propellerkrachen!
Du solltest über unserm Haus
Mal eine Schleife machen!
Aus einem Kinderlied,
abgedruckt im »Berliner Lokalanzeiger« (1909)
Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann, wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch. Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt Ihr Eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Milliarden erbringen würden? Wo sind Eure Friedensfestungen, Eure Friedensmarschälle, Eure Friedensstrategen, Eure Friedensoffiziere?
Aus Karl May,
»Ardistan und Dschinnistan Band 1« (1907)
Prolog
Berlin, im Dezember 1922
Andrej Tarnawski musste gegen die Müdigkeit kämpfen, so gleichmäßig floss der Strom aus Automobilen und Omnibussen über die Leipziger Straße. Kein einziges rotes Haltezeichen weit und breit. Der Verkehr rollte mit einheitlicher Geschwindigkeit dahin und jeder Fahrer hielt brav das vorgegebene Tempo ein. Mit deutscher Gründlichkeit, konnte man sagen. Tarnawskis ermatteter Geist wurde von einem kleinen, privaten Heiterkeitsausbruch belebt. Er musste über die Deutschen lächeln und gleichzeitig konnte er nicht anders, als sie zu bewundern. Warum sonst hätte er seine neue Existenz ausgerechnet in Berlin aufgebaut und nicht in London oder Paris?
Vor vier Jahren erst hatte Deutschland den Großen Krieg verloren, den Weltkrieg. Ein Reich war in die Knie gegangen und der einst so stolze Kaiser Wilhelm II. lebte jetzt zurückgezogen auf einem Schloss in Holland, wo er angeblich privaten wissenschaftlichen Forschungen nachging. Aber Deutschland war nicht tot, es lebte, und sein Herz, Berlin, pochte wie wild. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt schritt zügig auf die Vier-Millionen-Marke zu, große Ausstellungen lockten Besucher aus aller Welt an, fast wöchentlich öffneten neue Revuetheater und Vergnügungsparks ihre Tore, und der Automobilverkehr war derart angewachsen, dass der Straßenbau Hochkonjunktur hatte. Manchmal erschienen die Deutschen ihm als ein Volk von Ameisen, emsig bestrebt, ihre Arbeitsmethoden noch effektiver zu gestalten und bessere Straßen zu bauen, um schneller zu Arbeit zu gelangen. Selbst die Theater und Vergnügungsstätten schienen in Deutschland nur dem Zweck zu dienen, die Arbeitskraft der menschlichen Ameisen zu erhalten. Doch eins musste man den Deutschen lassen: Sie hatten sich nach dem verlorenen Krieg und den Revolutionswirren schnell wieder aufgerappelt!
Tarnawski war letztlich auch nur eine dieser Ameisen. Eine reichlich müde Ameise, die am letzten Abend zu lange bei Fürst Nikulin gewesen war, zu viele Trinksprüche ausgebracht und zu viel Champagner getrunken hatte. Er merkte, wie seine Aufmerksamkeit nachließ und dass es ihm im öden Gleichfluss des Straßenverkehrs zunehmend schwerer fiel, das Lenkrad des Citroën C gerade zu halten. Vielleicht lag es an seiner Müdigkeit, dass er die Frau zu spät sah. Wie ein Geist tauchte sie plötzlich vor seiner Motorhaube auf und starrte ihn an. War sie genauso erschrocken wie er, oder warum traf sie keine Anstalten, sich durch einen Sprung von der Fahrbahn in Sicherheit zu bringen? Von einem Augenblick zum anderen war Tarnawski hellwach und bremste, aber er wusste, dass es zu spät war. Als sein Wagen zum Stehen kam, war die Frau so unwirklich schnell verschwunden, wie sie eben aufgetaucht war. Als hätte es sie nie gegeben. Aber der kaum merkliche Aufprall, den er beim Anhalten gespürt hatte, zeigte ihm, dass die Frau kein Trugbild seines übernächtigten Geistes gewesen war.
Tarnawski sprang auf die Straße und achtete nicht auf den wuchtigen Pritschen