GLÜCKSRAD
Etwas stimmte nicht mit dem Haus in der Eastfield Street.
Die Häuser in dieser Straße sahen alle mehr oder weniger gleich aus: roter Backstein, zwei Zimmer im ersten Stock und ein Wohnzimmer, das entweder links oder rechts von der Haustür lag. An manchen Häusern waren Satellitenschüsseln angebracht, an anderen hingen Blumenkästen voller Sommerblumen. Aber wenn man oben auf dem Hügel stand und auf die Straße hinunterblickte, fiel ein Haus aus dem Rahmen. Es sah aus, als wäre es von einer Krankheit befallen und müsste aus der Reihe gerissen werden wie ein fauler Zahn.
Im Vorgarten türmte sich alles mögliche Gerümpel und die Mülltonne am Tor lief über. Daneben standen schwarze Säcke voller Abfall, den die Bewohner nicht mehr in die Tonne gekriegt hatten. Das kam in der Eastfield Street öfter vor. Auch dass die Vorhänge immer zugezogen waren und im Haus nie Licht brannte, war nichts Besonderes. Doch da war dieser Gestank. Schon seit Wochen roch es, als wäre die Toilette verstopft. Inzwischen war es so schlimm, dass die Leute die Straßenseite wechselten, wenn sie an dem Haus vorbeigehen mussten. Das ganze Grundstück schien befallen zu sein. Der Rasen im Vorgarten wirkte gelb und löcherig. Die Blumen waren verwelkt und dann von Unkraut überwuchert worden. Sogar die roten Backsteine sahen jetzt viel blasser aus.
Die Nachbarn hatten versucht, sich zu beschweren. Sie hatten an die Tür geklopft, doch es hatte niemand aufgemacht. Sie hatten angerufen, doch es hatte niemand abgenommen. Schließlich hatten sie sich bei der Gemeindeverwaltung beschwert, aber es würde natürlich Wochen dauern, bis die etwas unternahm. Auf jeden Fall war das Haus noch bewohnt. Zumindest das wussten die Nachbarn. Sie hatten Gwenda Davis, die Besitzerin, gelegentlich hinter den Netzgardinen hin und her laufen sehen. Und einmal – vor mehr als einer Woche – war sie an einer Nachbarin vorbeigegangen, als sie vom Supermarkt nach Hause hastete. Und es gab noch einen Beweis dafür, dass in Nummer 27 noch Leben war: Der Fernseher lief jeden Abend.
Fast alle in der Straße kannten Gwenda Davis.
Sie hatte nahezu ihr ganzes Erwachsenenleben in diesem Haus verbracht, erst allein, dann mit ihrem Freund Brian Conran, der gelegentlich als Milchmann arbeitete. Aber was die Nachbarn wirklich zum Tratschen veranlasst hatte, war die Tatsache, dass sie sechs Jahre zuvor einen achtjährigen Jungen bei sich aufgenommen hatte. Und dabei waren sich die Nachbarn einig, dass Gwenda und Brian keine idealen Eltern sein konnten. Brian trank. Und die beiden stritten sich dauernd. Und wenn man der Gerüchteküche glauben konnte, kannten die beiden den Jungen kaum, dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
Da wunderte es niemanden, dass die ganze Sache schiefging. Der Junge konnte eigentlich nichts dafür. Matthew Freeman war ein nettes Kind gewesen, dem stimmte jeder zu, aber schon vom ersten Moment an hatte es nur Ärger mit ihm gegeben. Er hatte die Schule geschwänzt. Er hatte sich die falschen Freunde gesucht. Er hatte kleinere Straftaten begangen und war dann natürlich irgendwann von der Polizei aufgegriffen worden. Und schließlich kam es zu diesem Einbruch in ein Lagerhaus in der Nähe vom Bahnhof Ipswich. Der Wachmann war fast gestorben und Matthew war mit dessen Blut an den Händen am Tatort erwischt worden. Danach hatten sie ihn in irgendein Erziehungsprogramm gesteckt und jetzt lebte er bei einer Pflegemutter in Yorkshire. Dort sollte er gefälligst auch bleiben, war die einhellige Ansicht der Nachbarn.
Das alles war vor drei Monaten gewesen. Seitdem war Gwenda immer seltener aufgetaucht. Und Brian hatten die Nachbarn schon ewig nicht mehr gesehen. Das Haus verkam vor aller Augen. Die Nachbarn waren sich einig, dass etwas geschehen musste.
Es war abends um halb sieben in der ersten Juniwoche. Die Tage waren lang und schienen sich mit aller Kraft gegen die Nacht zu wehren. Die Menschen in der Eastfield Street wirkten verschwitzt und müde. Alle waren reizbar. Und der Gestank lag schwer in der Luft.
Gwenda stand in der Küche und machte sich ihr Abendessen. Sie war nie eine hübsche Frau gewesen – klein, schlampig gekleidet, mit glanzlosen Augen und schmalen Lippen, die nie lächelten. Doch seit Matts Auszug war es mit ihr noch mehr bergab gegangen. Sie kämmte ihr Haar nicht mehr. Fettig und verfilzt kle