: Hugh Walpole
: Zug ans Meer
: LangenMüller
: 9783784482217
: 1
: CHF 8.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 176
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Licht- und Schattenseiten des menschlichen Charakters, die Geheimnisse der Seele, die scheinbare Unvereinbarkeit von Denken und Tun - Hugh Walpole war nichts Menschliches fremd. Ob ältere Damen, vom Flieder der Liebe berauschte ewige Junggesellen oder eine haarige Vater-Sohn-Beziehung, alles wird einem gleichermaßen liebevollen wie scharfen Blick für jedes Detail unterworfen

Sir Hugh Seymour Walpole wurde 1884 in Neuseeland geboren und lebte später in Cornwall. Der vielseitige Schriftsteller verfasste neben seinem wohl bekanntesten Werk, den Herries Chronicles, auch Jugendromane und Schauergeschichten. Zeitgenossen wie Ernest Hemingway und Joseph Conrad priesen seine Werke. Für die Verfilmung von Charles Dickens' David Copperfield (1935) schrieb er das Drehbuch ebenso wie für Frances Hodgson Burnetts Der kleine Lord. 1937 wurde er geadelt und verstarb 1941 in London.

ZUG ANS MEER

Eine Woche vor Weihnachten gab Familie Godley eine große Gesellschaft.

Vielleicht entspricht es nicht ganz den Tatsachen, wenn man sagt, »sie gaben eine Gesellschaft«, denn es war einfach ein Abend, wie er bei den Godleys so häufig zustande kam, nachdem Muriel zu jemand gesagt hatte: »Doch, stimmt ja, heute Abend sind wir alle zu Hause«, oder wenn Frank zu seiner besten Freundin bemerkte: »Komm mal vorbei, wenn du nichts Besseres vorhast«, oder wenn Vater Godley sich von seinem besten Freund verabschiedete: »Na, du weißt ja, Harry, du bist immer willkommen.«

Durch flüchtige Bemerkungen wie diese, stets mit echt Godley‘scher Aufrichtigkeit und guter Laune und Großzügigkeit geäußert, war es auch diesmal zu einer Gesellschaft gekommen, sodass Mrs Godley plötzlich eifrig dabei war, ihre beliebten Kuchen zu backen und kaltes Brathuhn vorzubereiten und nachzuschauen, ob für die Bowle genügend Mosel im Haus war.

Sie wusste, dass ein »paar Freunde« kommen würden, und das bedeutete ein Haus voller Gäste, denn ihre Freunde brachten andere mit, die die Godleys noch nie im Leben gesehen hatten: »Oh, natürlich könnt ihr kommen, es sind die gutmütigsten Menschen von der Welt, und sie haben immer haufenweise zu essen und zu trinken, und wir tanzen ein bisschen, und wer will, kann Karten spielen.« Und den Freunden, die von den Freunden mitgebracht wurden, gefielen die Godleys so gut, dass sie im Stillen entschlossen waren, wiederzukommen.

Das Haus war groß genug für eine Schar von Gästen – ein großes, weitläufiges Gebäude mit ein wenig Garten nach vorne und nach hinten hinaus, und es lag linker Hand am Putney-Hügel, nicht weit von dem Haus »Die Kiefern«, in dem früher der berühmte Dichter Swinburne gelebt hatte. Die Godleys wohnten seit zwanzig Jahren in ihrem Haus. Alle Kinder waren dort zur Welt gekommen, mit Ausnahme von Tracy, der unversehens in Bournemouth erschienen war. Magdalena, das älteste Godley-Mädchen, war jetzt neunzehn und betrachtete das Haus als ihr eigenes. Sechs Godley-Kinder waren es, und alle betrachteten sie das Haus als ihr eigenes: Die einzigen Leute, denen es nicht richtig zu gehören schien, waren Mr und Mrs Godley.

Mrs Godley war eine hübsche Frau, trotz der sechs Kinder, die sie geboren hatte, und ihr einziger Fehler war es wohl, dass sie breit und nicht sehr groß war. Sie hatte pechschwarzes Haar, die schönsten schwarzen Augen und eine frische Gesichtsfarbe. Sie war fröhlich und gutmütig und warmherzig. Tom Godley war blond, hatte aber eine ähnliche Figur wie seine Frau, denn er war dick und klei