: Ronald Reng
: Der Traumhüter Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462308884
: 1
: CHF 9.00
:
: Ballsport
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Im Tor Lars Leese« - Eine wahre Geschichte über die Verwirklichung eines Jungentraums*Lars Leese hat das erlebt, wovon zehntausende Freizeitfußballer auf deutschen Aschenplätzen oder Schwimmbadwiesen heimlich träumen: Plötzlich kommt einer und macht dich zum Profi. Mit 22 spielte Leese für die Sportfreunde Neitersen in der Kreisliga Westerwald. Mit 28 sicherte er mit seinen Paraden dem englischen Erstligisten Barnsley vor 40.000 Zuschauern einen 1:0-Sieg über den sechsmaligen Europacupsieger FC Liverpool. Und mit 32 ist er wieder da, wo er herkam - in der Anonymität. Eine der kuriosesten Sportlerkarrieren der Gegenwart - »Mister Cinderella« nannte ihn die Frankfurter Rundschau.Drei Jahre lang hat Leese in der Fußball-Profiwelt gelebt und dabei nie den Blick des Fans verloren. Die Verehrung, die ihm, dem deutschen Hünen, in der nordenglischen Kleinstadt entgegenschlug, hat er ebenso dankbar genossen wie im Jahr zuvor das Training mit den Profis von Bayer Leverkusen.So einmalig wie Leeses Aufstieg war auch sein Abstieg: Als Barnsley seinen Vertrag nicht verlängert, landet er in der Arbeitslosigkeit. Alle Versuche, einen Profiverein zu finden, scheitern, heute hat er in Köln einen Vertrieb für Büroartikel und spielt abends zum Spaß in der Amateurelf von Borussia Mönchengladbach. Erzählt wird diese Geschichte vom Sportjournalisten Ronald Reng, der Leese aber immer wieder selbst berichten lässt. Der Traumhüter ist ein ungemein witziges, anekdotenreiches Buch, das in seinem Mix aus Fußballstory und ganz persönlicher Lebensgeschichte selbst dem sportuninteressiertesten Leser die Faszination des Fußballs nahe bringt. So anrührend und kenntnisreich zugleich ist seit »Fever Pitch« nicht mehr über Fußball geschrieben worden.  

Ronald Reng, geboren 1970 in Frankfurt am Main, lebt heute als Sportreporter in Barcelona. Von 1996 bis 2001 wohnte er in London. Sein Debüt »Der Traumhüter« über die unglaubliche Karriere des Torwarts Lars Leese in der englischen Premier League war ein Bestseller in Deutschland und wurde in Großbritannien mit dem Preis für das beste Sportbuch des Jahres 2004 ausgezeichnet. Weitere Titel bei Kiepenheuer& Witsch: »Der Traumhüter. Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts« (mit Lars Leese), KiWi 685, 2002. »Mein Leben als Engländer«, Roman, KiWi 796, 2003. »Fremdgänger«, Roman, KiWi 894, 2005.Weitere Veröffentlichungen: »Gebrauchsanweisung für London«, Piper, 2004. Hörbuch gelesen von Heike Makatsch.

Prolog

Jedermanns Traum


18661 Zuschauer im ausverkauften Oakwell-Stadion in Barnsley warteten darauf, dass es endlich weiterging. Dass Lars Leese endlich seine Schuhe zubekam.

Zum vierten Mal setzte er draußen auf der Ersatzbank nun schon an, zog die Schnürsenkel fest, machte einen Knoten, wickelte die langen Enden einmal um den ganzen Schuh herum und unter der Sohle hindurch, wie das Fußballprofis schon immer, ohne erkennbaren Grund, machen. Dann noch ein Knoten und die Schleife. Daran scheiterten seine zittrigen Hände schon wieder. »Hey, hey! Nimm dir verdammt noch mal Zeit. Ohne dich werden sie nicht weiterspielen«, rief Danny Wilson, der junge Trainer desFC Barnsley, seinem Ersatztorwart zu. Er wollte beruhigend klingen. Er klang angespannt.

Es passiert ungefähr in einem von tausend Fußballspielen, dass sich der Torwart verletzt und der Ersatzkeeper eingewechselt werden muss. Lars Leese hatte erwartet, das Match am 26. August 1997 in der englischen Premier League zwischen Barnsley und den Bolton Wanderers würde eines der anderen 999 sein. Zwei Stunden vor Spielbeginn hatte er der Großmutter seiner Frau noch erklärt: »Oma, bitte, nerv jetzt nicht, ich weiß, dass ichnicht spielen werde. Ich bin Ersatztorwart. Verstehst du: Er-sa-tz!« Oma Lina war aus Deutschland zu Besuch im backsteinbraunen Einfamilienhaus in der Winter Avenue in Barnsleys Vorort Royston, sie würde zum ersten Mal in ihrem Leben ein Fußballmatch sehen – sie wollte nicht einsehen, dass der Mann ihrer Enkelin dann nicht mitspielte. Vehement drängte sie vor der Abfahrt zum Stadion, ein Foto von Leese machen zu dürfen. »Vor deinem ersten Profispiel«, sagte sie.

»Oma …«

Zwei Fotos später fuhr Leese mit seinem Kollegen und Nachbarn, dem slowenischen Nationalspieler Ales Krizan, die zehn Minuten zum Oakwell hinunter, mit der Absicht, sich einen schönen Abend auf der Ersatzbank zu machen. Sein Trikot mit der Nummer 13 zog er erst gar nicht an. Im Sweatshirt und mit ungeschnürten Schuhen saß er an dem lauen Sommertag am Spielfeldrand, als Boltons Mittelfeldspieler Jamie Pollock mit einem überdrehten Tackling in Barnsleys Torwart David Watson knallte. Für einen Moment war es still. Die Zuschauer warteten, dass Watson wieder aufstand.

Als die vier Sanitäter Watson auf der Trage direkt an der Ersatzbank vorbei in die Stadionkatakomben schleppten, sah Leese nicht hin. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

 

Ich habe mir doch selbst gesagt: »Ein ausverkauftes Stadion und du im Tor einer Profielf – von diesem Moment hast du das ganze Leben geträumt, du solltest dich freuen.« Aber natürlich habe ich mich nicht gefreut. Ich hatte Lampenfieber, was heißt Lampenfieber: Ich hatte Schiss. Schon als Watson am Boden lag, war mein erster Gedanke: »Mach keinen Scheiß, bitte steh wieder auf.« Ich habe versucht, mir selbst Befehle zu geben: »Dreh jetzt nicht durch, Lars.« Und im nächsten Augenblick konnte ich schon wieder nur noch denken: »Watson, bitte steh auf.« So jagten meine Gedanken beim Aufwärmen durcheinander. Ich täuschte ein paar Gymnastikübungen vor, tatsächlich konnte ich meine Beinmuskeln gar nicht dehnen. Ich wäre umgefallen, so weich waren meine Knie. Beim Laufen ließ ich die Arme kreisen, irgendwie glaubte ich, so könnte ich den Zuschauern vormachen: »Ich bin heiß« Und dann hab ich noch nicht mal die Schuhe zubekommen. Ich fühlte mich so unheimlich beobachtet. »18000 Zuschauer schauen auf dich«, dachte ich, was natürlich Quatsch war, weil viele Watsons Abtransport beobachteten oder einfach palaverten.

 

Watsons Niere war eingerissen, das Gehirn erschüttert, würde am nächsten Tag die Diagnose im Barnsley General Hospital lauten. Im Oakwell jedoch kehrte die gute Laune in Minutenschnelle zurück. Das Publikum war fest entschlossen, sich seine Ausgelassenheit durch nichts nehmen zu lassen. Dies war Barnsleys drittes Heimspiel der Saison 97/98, und auch wenn die ersten beiden verloren gegangen waren, herrschte noch immer Feiertagsstimmung im Oakwell. Zum ersten Mal in 110 Jahren spielte der Klub aus der Kleinstadt zwischen Leeds und Sheffield Erste Liga; eine Liga, die neben der spanischen Primera Division und der italienischen Serie A die aufregendste im modernen Fußball ist. »Es ist, als wäre etwas vom Mars auf uns heruntergekommen«, sagte Michael Spinks, der Geschäftsführer des Klubs.

Das Geschrei im Oakwell schwoll an, als Leese im fünften Versuch endlich die Schuhe geschnürt hatte und neben den Linienrichter trat; bereit, ins Spiel zu kommen.

»Lies! Lies! Lies!«, brüllten die Zuschauer.

Nach gut zwei Monaten in Barnsley wusste Leese, was sie meinten; wen sie meinten: Für die Engländer war er Lars Lies.

Bevor der 1,97 Meter große Ersatztorwart in der 29. Spielminute beim Stand von 1:1 auf den Ra