: Iain Lawrence
: Tom Tin und das Sträflingsschiff
: Verlag Freies Geistesleben
: 9783772540714
: 2
: CHF 13.50
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 260
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
London um 1825. Als sein Vater ins Schuldgefängnis kommt, beschließt Tom Tin, sich an dem Mann zu rächen, der seine Familie ins Unglück gestürzt hat. Doch in den nebligen Straßen der Großstadt wimmelt es von finsteren Gestalten: Tom stößt auf einen Blinden, der den Uferschlamm der Themse nach Schätzen absucht - und ihn bedroht, als er selbst einen aufregenden Fund macht.

Iain Lawrence war nach dem Publizistikstudium in Vancouver für verschiedene Zeitungen tätig. Dann ließ er sich in der Küstenregion nieder, wo er zuerst in der Hafenstadt Prince Rupert lebte und später als Wärter eines abgelegenen Sendeturms arbeitete. Heute lebt Iain Lawrence auf den Gulf Islands in British Columbia.

Erstes Kapitel


Mein Abenteuer beginnt


Als sie sechs Jahre alt war und ich acht, starb Kitty, meine kleine Schwester. Sie fiel von einer Brücke in die Themse und ertrank, bevor ihr jemand zu Hilfe eilen konnte. Meine Mutter war dabei, als es geschah. Sie hörte einen Schrei, drehte sich um und sah meine Schwester durch die Luft wirbeln. Sie schaute zu, wie Kitty in den Strudeln braunen Wassers verschwand. In diesem Moment verlor meine Mutter den Verstand.

Sie zog Trauerkleidung aus dem schwärzesten Stoff an und verbarg sich darin vom Kopf bis zu den Fußspitzen, wie ein Käfer in seinem Panzer. Bei Sonnenaufgang stand sie an Kittys Grab, und wenn die Sonne unterging, stand sie immer noch da. Mit ihrem im Wind wehenden Schleier und dem vom Regen tropfnassen Schal wurde sie selbst zu einem Geist, der den Friedhof heimsuchte und vor dem sich die Kinder fürchteten. Selbst ich, der ich sie mein ganzes Leben lang gekannt hatte, wagte mich nicht in die Nähe des Totenackers, wenn der gelbe Herbstnebel die Grabsteine umwaberte.

Es war solch ein Tag, ein Tag im Herbst, als mein Vater sie schließlich vom Grab meiner Schwester wegzerren musste. Der Nebel war dicht und roch faulig, sah aus wie verdorbene Vanillesoße, die man zwischen die Gräber gegossen hatte. Vor dem Eisengatter an der Straße stehend, konnte ich nicht bis zur Kirche sehen, aber ich erkannte die Kreuze und die Marmorengel, manche davon deutlich, andere schemenhaft. Und mittendrin meinen Vater, der mit einem Dämon kämpfte. Ich hörte das Heulen meiner Mutter.