Oktober
ICH HATTE MICH EINGELEBT im Hostal der Witwe Alordes, doch eigentlich war es, wenn auch das billigste Hostal, zu teuer. Trotz Rabatt, den die Dame mir jeden Sonntagabend, wenn ich um eine weitere Woche verlängerte, mit strahlenden Augen zugestand, kam ich pro Woche auf 140 und damit am Monatsende auf 560 Euro. Dabei hatte ich kein Radio, keine Küche, kein eigenes Bad und kein Sofa, und da ich weder Essen noch Kaffee kochen konnte, schmolz mein Budget wie Eis in der Hand. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ebenso wenig wie mit der Tatsache, dass Hubert, mein Arbeitgeber, wegen ungünstiger Winde Schwierigkeiten haben könnte, nach Mallorca zurückzusegeln. Er hatte sich zwei Wochen nach meiner Ankunft in seinen Urlaub verabschiedet. Auf die Kanaren. Und nun herrschte Mistral-Wind, der sich im westlichen Mittelmeer zu gefährlichen Stürmen aufbauschte.
In unserem deutschen Vorarbeitsvertrag war vereinbart worden, dass der Arbeitgeber sich um den spanischen Arbeitsvertrag, die Anmeldung bei der spanischen Sozialversicherung und die Beantragung derResidencia,1 einer Art Aufenthaltsgenehmigung, kümmern würde. „Für EU-Bürger“, so stand darin, „eine reine Formsache.“ Doch eine sehr notwendige. Überall, wo man einen Nachweis des Aufenthaltsortes in Spanien benötigt, wird dieser Ausweis verlangt, also in Videotheken, Bibliotheken, beim Abholen von Postüberweisungen, beim Kaufen einer spanischen Telefonkarte, beim Eröffnen eines Bankkontos und für die Busmonatsfahrkarte. Hubert ließ all diese Dinge von einerGestoría2 erledigen, und diese verhandelte offensichtlich nur mit ihm persönlich.
„El gerente Gonzalo – der Direktor Gonzalo“, sagte mir die immer gleich klingende freundliche Mitarbeiterin, „está reunido.“ – „Versammelt“ war Gonzalo am Morgen, am Mittag und Nachmittag, also immer in einer Besprechung. Ich brauchte Monate, bis ich verstand, dass „está reunido“ manchmal die Abwesenheit der entsprechenden Person erklärt, aber meistens „für Sie nicht zu sprechen“ bedeutet.
Dem folgt ein „En que le puedo ayudar? – Wie kann ich Ihnen helfen?“. Doch ob ich nun einen Rückruf erbat oder einen Gesprächstermin, ich hatte keine Chance. Diese Gestoría sprach eben nur direkt mit dem Auftraggeber, und das war nun mal Hubert.
Ich konnte kein Konto eröffnen, und wo kein Konto war, konnte auch kein Gehalt überwiesen werden, das machte mich wirklich nervös.
„No te preocupes – mach dir keine Sorgen“, sagte Jochen an einem Morgen, als ich ihm mein Leid klagte. „Hubert zahlt immer, wenn auch mit Verspätung.“
Gut, dachte ich, dann würde ich mir eben keine Sorgen machen, und tatsächlich gab es anderes, das mir nachts durch den Kopf raste und mic