Transparente Erfahrung
Ein theologischer Essay zur Einleitung
Der Titel dieses Buches mit Predigten und Meditationen »Transparente Erfahrung« bedarf einer Erläuterung. Predigt und Erfahrung gelten in unserer theologischen Tradition oft als Gegensätze. Gepredigt wird über Bibelworte, von denen man hofft, dass sie im Hörer zum WortGottes werden, religiöse Erfahrungen werden vonMenschen gemacht, die Leben und Welt in besonderer Weise verarbeiten. Worttheologie, die »von oben«, und Erfahrungstheologie, die »von unten« einsetzt, scheinen unvereinbar zu sein. Aber die Predigt ist so wenig Gottes Wort wie das Wort der Bibel, beides ist Menschenwort. Nur aufgrund einer veränderten Einstellung können wir hoffen, in ihnen mehr als Menschenworte zu hören. Ebenso gilt von der Erfahrungstheologie: Sie sucht in menschlichen Erfahrungen Spuren Gottes. Es sind oft ganz normale Erfahrungen. Wir würden die Spuren Gottes übersehen, wenn wir nicht in uns ein Suchprogramm hätten, sie zu deuten und zu entdecken. Wort- und Erfahrungstheologie weisen insofern auf uns selbst zurück. Liegt also in uns der Schlüssel für die Theologie? Sicher ist: Ohne Einbeziehung unserer selbst gäbe es keine Theologie. Daher gibt es noch einen dritten Ansatz in der Theologie: eine Reflexionstheologie, die nach Bedingungen der Möglichkeit in uns fragt, Gott zu erfahren, und die man auch »Transzendentaltheologie« nennen kann (wobei unter »transzendental« nicht das verstanden wird, was jenseits unserer Erfahrung liegt und »transzendent« ist, sondern was aller Erfahrung als Bedingung ihrer Möglichkeit zugrunde liegt). Wir müssen den Weg »von oben« und »von unten« durch einen dritten Weg »von innen« und »nach innen« ergänzen. Denn nur eine innere Verwandlung macht unsere Erfahrungen transparent für Gott, nur eine veränderte Einstellung macht Menschenworte transparent für das »Wort« schlechthin. Ein sicherer Schlüssel ist dieser Weg »von innen« und »nach innen« aber nicht. Viele Menschen finden in sich kein Programm vor, das nach Gott fragt. Sie fragen nicht nach ihm und vermissen nichts. Viele leben zufrieden in dieser Welt, ohne nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Wenn im Leben ein inneres Such- und Interpretationsprogramm mit der Frage nach Gott aktiviert wird, dann geschieht das oft erst durch einschneidende Erfahrungen oder wird durch das »Wort« von außen geweckt. Die Weisheit vieler Religionen, dass der Mensch eine innere Verwandlung erleben muss, um Kontakt mit Gott zu bekommen, ist berechtigt. Dass wir geboren werden, um wiedergeboren zu werden, ist deshalb nicht nur eine pietistische Weisheit, sondern eine allgemeine christliche Einsicht. Sie ist in allen Religionen lebendig.
Auf jeden Fall ist klar: Wir stoßen im theologischen Denken immer wieder auf die drei skizzierten Wege zu Gott. Entweder wird Gott aus Gott selbst erkannt. Dann sprechen wir von Offenbarung als Selbsterschließung Gottes durch sein Wort. Dabei wird das Wort der Bibel oder der Predigt zum Medium für einen Kontakt mit Gott. Die religiöse Tradition benutzt dafür das Bild vom »Wort Gottes«. Auch das ist ein Bild. In einem sehr anthropomorphen Bild wird Gott als sprechender Gott vorgestellt.
Der zweite Weg ist: Gott wird durch Interpretation der Welt erkannt. Hier wird die Welt als ganze oder in Teilen zum Medium religiöser Erfahrung. Die religiöse Tradition kennt dafür die Metapher von der »Lesbarkeit der Welt«. Im »Buch der Natur« wird die Handschrift des Schöpfers entziffert. Auch das ist ein anthropomorphes Bild von Gott. Es sagt: Gott habe die Welt wie ein Künstler geschaffen und ihr dabei s