: Henri Bergson
: Das Lachen Deutsch von Julius Frankenberger und Walter Fränzel
: Edition Erdmann in der marixverlag GmbH
: 9783843804523
: 1
: CHF 7.00
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: Philosophie
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Leute, die nicht lachen, sind keine ernsthaften Leute.' FRÉDÉRIC CHOPIN 'Was ist das Wesen des Lachens? Was liegt allem Lächerlichen zugrunde? Was haben ein Clownsgesicht, ein Wortspiel, eine Verwechslungsszene in einem Schwank und eine Szene des feinen Lustspiels gemeinsam? Wie destillieren wir die Substanz heraus, die so verschiedenen Dingen das gleiche bisweilen aufdringlich starke, bisweilen ganz diskrete Aroma verleiht? Die größten Denker von Aristoteles an haben sich an der Lösung dieses winzigen Problems versucht, das einem, wenn man es fassen will, unter der Hand zerrinnt, verschwindet, gar nicht dagewesen ist und sich doch wieder aufwirft; eine unerhörte Herausforderung an den philosophischen Scharfsinn.' HENRI BERGSON 'Es ist immer noch zu wenig gelacht worden in der Welt, das ist die größte Schuld.' FRIEDRICH NIETZSCHE Das Lachen ist eines der rätselhaftesten Phänomene des menschlichen Lebens. Wir wissen meist besser, wie man jemanden zum Lachen bringt, als was einen selbst und überhaupt zum Lachen bringt; und so haben sich seit der Antike fast alle namhaften Philosophen an diesem Problem die Zähne ausgebissen. Für die einen ist Lachen ein Ver-Lachen, etwas, das den Lachenden über den Verlachten stellt. Für andere ist das Lachen - ganz technisch und psychologisch verstanden - ein Effekt, der durch die geschickte Kombination von Widersprüchen und Kontrasten entsteht. Bergson interpretiert das Lachen als soziales Phänomen, findet aber im Auslachen nichts Bösartiges. Bergsons lebensphilosophische Antwort ist philosophiegeschichtlich einmalig: Wir erleben uns im Lachen als etwas Lebendiges, das etwas Mechanisches, Automatenhaftes im Lebendigen entdeckt und überwindet.

Henri-Louis Bergson (1859-1941) war Philosoph und erhielt 1927 den Nobelpreis für Literatur. Trotz seines mathematischen Talents entschied er sich früh für eine philosophische Laufbahn, deren Krönung der Ruf an den Lehrstuhl für Moderne Philosophie am Collége de France war. Zudem war Bergson Vorsitzender der Académie des sciences morales et politiques und Mitglied der Académie francaise. Er hielt Vorträge auf dem internationalen Philosophen-Kongress in Bologna, in Oxford, Birmingham und London sowie an der Columbia University New York. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte er als Patriot in Artikeln und Vorträgen von sich hören. 1940 verzichtete er aus Wertschätzung seiner jüdischen Wurzeln offiziell auf all seine Auszeichnungen und Mitgliedschaften. Besonders bekannt innerhalb seines Werkes sind die Schriften 'Zeit und Freiheit', 'Materie und Gedächtnis', 'Die schöfperische Entwicklung' und 'Das Lachen'.

ZWEITES KAPITEL


Situations- und Wortkomik

Wir haben das Komische in Formen, Haltungen, Bewegungen im allgemeinen studiert; jetzt müssen wir es in Handlungen und Situationen aufsuchen. Gewiß trifft man diese Art Komik ziemlich leicht im täglichen Leben. Aber vielleicht ist es gerade da der Analyse nicht am ehesten zugänglich. Wenn es wahr ist, daß das Theater das Leben vergrößert und vereinfacht wiedergibt, so wird uns die Komödie in diesem besonderen Punkte bessere Auskunft liefern als das wirkliche Leben. Vielleicht sollten wir die Vereinfachung noch weiter treiben, auf unsere frühesten Erinnerungen zurückgehen und in den Spielen, über die das Kind lachte, die erste rohe Form der Kombinationen, die der Mann komisch findet, zu erkennen suchen. Wir sprechen zu oft von Gefühlen der Freude und des Schmerzes, als ob sie alt und fertig entstünden, als ob nicht jedes von ihnen seine Geschichte hätte.

Zu oft vor allem verkennen wir, wieviel noch Kindliches in den meisten unserer Freudegefühle steckt. Wieviel Vergnügen in der Gegenwart würde sich aber nicht bei genauerer Prüfung auf Erinnerungen an früheres Vergnügen reduzieren! Was bliebe von vielen unserer Gefühle übrig, wenn wir auf das unmittelbar Gefühlte in ihnen zurückgingen, wenn wir von ihnen alles loslösten, was einfach Erinnerung ist? Ja wer weiß, ob wir nicht von einem gewissen Alter ab für frische und neue Freude unzugänglich werden, und ob die süßeste Freude des reifen Mannes etwas anderes sein kann als wieder belebte Kindheitsgefühle? Ein duftender Hauch, der uns immer seltener, aus immer fernerer Vergangenheit zuweht? Wie immer man übrigens diese sehr allgemeine Frage beantworten mag, ein Punkt bleibt außer Zweifel: der Zusammenhang zwischen dem Vergnügen am Spiel beim Kinde und dem gleichen Vergnügen beim Manne kann nirgends unterbrochen sein. Nun ist die Komödie in der Tat ein Spiel, ein Spiel, das das Leben nachahmt. Und wenn in den Spielen des Kindes, das Puppen und Hampelmänner tanzen läßt, alles durch Fäden gemacht wird: sind es nicht die gleichen, bloß mit der Zeit dünner gewordenen Fäden, die die Situationen des Lustspiels verknüpfen? Gehen wir also von den Spielen des Kindes aus. Folgen wir dem unmerklichen Vorgang, in dem das Kind seine Puppen größer werden läßt, sie belebt und sie schließlich in jenen merkwürdigen mittleren Zustand überführt, wo sie zu Menschen geworden sind und doch nicht aufhören, Puppen zu sein. Was wir dann haben, sind Lustspielfiguren. Sie werden uns das Gesetz bewahrheiten, das die vorausgehenden Analysen uns ahnen ließen, jenes Gesetz, mit dem wir ganz allgemein Schwanksituationen definieren:Komisch ist jede Verkettung von Handlungen und Ereignissen, die uns die Illusion des Lebens und das deutliche Gefühl eines mechanischen Arrangements zugleich verschafft.

1.Der Springteufel: Wir alle haben früher mit dem Teufel gespielt, der aus seinem Kasten springt. Man drückt ihn platt, er schnellt wieder hoch. Man stößt ihn tiefer hinunter, und er springt höher wieder hinauf. Man quetscht ihn unter seinen Deckel, und oft hüpft er au