Hoch stand der Sanddorn auf Hiddensee
Auch Daniel inMe too ist bei seiner Familie aufgewachsen. Seine Mutter hat ihn aber nie richtig akzeptiert. Im Film sagt sie ihm ins Gesicht, dass er für sie ein Weltuntergang war. Auch für meine Familie war es ein Schock, als sie erfuhr, dass ich das Downsyndrom habe. Sie hat mich aber angenommen, wenngleich es bei manchen, wie bei Oma Ilse, etwas länger dauerte. Daniel war nun mal da und seine Mutter hätte ihn – genau wie sein Vater – nehmen sollen, wie er ist. Vor allem hätte sie ihm nicht immer wieder sagen sollen, dass er für sie ein Weltuntergang war. Ebenso halte ich die Ansprüche von Daniels Mutter an ihren Sohn für zu hoch. Er sagt es zwar nicht, doch sein Gesichtsausdruck beim gemeinsamen Englischlernen drückt aus, wie unglücklich er ist. Auch meine Eltern wollten, dass ich weiterkomme. Dafür wurde ich nach Kräften gefördert und manchmal heftig herausgefordert, doch ich habe mich nie unter Druck gesetzt gefühlt. Heute bin ich froh, dass ich so unterstützt wurde und dass meine Eltern immer an mich geglaubt haben. Dabei begann alles sehr dramatisch.
»Was ist los? Stimmt etwas nicht mit Sebastian?« Vati hatte schon länger auf die Oberärztin gewartet.
»Am besten gehen wir rüber. Ihr Sohn ist auf der Neugeborenenstation im Haus nebenan.«
Vati folgte ihr. Draußen herrschte Matschwetter, in der Nacht hatte es einen Wetterumschwung gegeben. Es war windig, der Himmel grau verhangen. Auf den Wegen, die die einzelnen roten Klinkergebäude der Klinik miteinander verbanden, lagen Schneereste.
»Wie geht es meinem Sohn? Wo ist er? Können Sie schon irgendetwas sagen?« Vati war sehr aufgeregt, er stellte alle Fragen auf einmal. »Meine Frau sagt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie hat auf dem Krankenblatt die Bezeichnung Trisomie21 gelesen. Was ist das? Eine Krankheit? Wir haben das noch nie gehört. Wir machen uns Sorgen.«
»Wir sind uns nicht sicher.«
»Wie – nicht sicher?«
»Es ist nicht alles so, wie wir es uns wünschen. Es besteht der Verdacht auf eine Erbkrankheit, also eine Behinderung«.
»Eine Erbkrankheit? Eine Behinderung? Meinen Sie Mongolismus?«
»Ja, ja, Ihr Sohn ist wahrscheinlich mongoloid. Aber wir müssen erst eine Chromosomenanalyse machen, um es definitiv zu wissen.«
Die Schwangerschaft meiner Mutter war normal verlaufen, alle hatten sich sehr auf mich gefreut. Etwa eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin setzten bei ihr die Wehen ein, und Vati brachte sie ins Klinikum Buch. Doch als Mutti im Kreißsaal lag, war plötzlich alles ruhig, die Wehen hatten aufgehört. Ich hatte mich wohl entschlossen, noch ein wenig zu warten. Vati fuhr wieder nach Hause. Gemeinsam hatten meine Eltern den Geburtsvorbereitungskurs besucht, aber das Krankenhaus hatte entschieden, dass Vati bei der Entbindung nicht dabei sein durfte. Damals war das nicht überall möglich. Kaum war Vati weg, setzten die Wehen wieder ein. Um0:25 Uhr am16. März1978 war es dann so weit. Ich erblickte das Licht der Welt.
Nach der Geburt durfte mich Mutti nur kurz sehen. Ich wurde sofort auf die Frühchenstation gebracht. Die Ärzte sagten ihr, es sei ein Junge. Und es sei alles dran. Da ich allerdings nicht gleich allein atmen konnt