: Bernd Gieseking
: Gefühlte Dreißig - Ein Hoffnungsbuch für Männer um die Fünfzig
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104029863
: Fischer Paperback
: 1
: CHF 9.00
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: Geschenkbücher, Alben, Immerwährende Kalender, Postkartenbücher
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
*** 50 ist auch nur'ne Zahl, Mann ... *** »Der einzige wirkliche Nachteil: Ich kann auf dem Lottoschein nicht mehr mein Alter ankreuzen.« »Ich benutze seit einigen Wochen Zahnzwischenraumbürsten. Alles wird weniger, wenn man älter wird, nur die Zahnzwischenräume werden größer. Andererseits ist man froh, dass man überhaupt noch Zahnzwischenräume hat. Das ganze Gerede vom Alter ist Quatsch, und trotzdem ist was dran.« Der Buchautor und Kabarettist Bernd Gieseking weiß, wovon er spricht. Er hat die 50 hinter sich und kennt das Gefühl »Hälfte rum« ganz genau. Aber er weiß auch, dass noch ganz viel kommt. Witzig und mit viel tiefgründigem Humor berichtet er von den Wünschen, Träumen und Zielen der Männer seiner Generation und gibt seinen Leidensgenossen Hoffnung. Denn es kommt letztlich nicht auf die Höhe des Flugs an, sondern darauf, überhaupt losgeflogen zu sein! Ein Buch, das Männern Mut macht, wie ein guter Wein zu reifen.

Bernd Gieseking, geboren 1958 in Minden-Kutenhausen, ist Kabarettist und Autor von Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderbüchern, Kinderhörspielen für den WDR und den HR sowie diversen anderen Büchern. Seine im FISCHER Taschenbuch erschienen Finnland-Bücher »Finne dich selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch - Was Reiseführer verschweigen« sind Bestseller.

6Roxanne –ThePolice (1976)


Sehnsucht St. Pauli

Als wir noch Jugendliche waren, gab es, abgesehen vom Erscheinungstermin des Quelle-Katalogs, eine ganz große Sehnsucht – Hamburg und die Reeperbahn. »Reeperbahn, wo früher noch der alte Star-Club war«, sang Udo Lindenberg. Wir kannten den Text auswendig und hätten problemlos dort als Fremdenführer arbeiten können. Die legendären Reime des Panikrockers weckten in uns eine Sehnsucht nach Hafen und Landungsbrücken. Lindenbergs »Andrea Doria« war ein Lebensgefühl. Auf diesem Kahn wollten wir anheuern.

Ich wäre gern auf »Johnny« getauft worden statt auf »Bernd«. Ich wollte ein Seemann sein. Oder wenigstens mal eine Nacht in einer Hafenspelunke zubringen. Die Reeperbahn war für uns ein einziges kitzliges Versprechen. Wir wussten von einem Laden namens »Zur Ritze«, vom »Safari«, vom »Salambo«. Zumindest vom Hörensagen. Sexshows sollte es da geben. Da wurde angeblich live gevögelt. Auf der Bühne! Und es gab die Herbertstraße, wo die schärfsten »Nutten« überhaupt standen. In unserer Phantasie retteten wir wenigstens eine von ihnen aus dem Sumpf. Unsere Liebe würde sie aus den Klauen ihres Zuhälters reißen, und dann würden wir mit ihr alt werden. Mit dankbarem Blick für ihren Retter würde sie sich mit ihren wunderbaren Brüsten an unsere Heldenbrust schmiegen. Unser Leben, ein einziger Rausch aus Lust und Erfüllung. Dass wir kaum oder keinerlei sexuelle Erfahrungen hatten, spielte keine Rolle.

Nachdem die Ersten aus unserer Clique den Führerschein hatten, fuhren wir samstags regelmäßig nach Hamburg. Erst auf die Reeperbahn, dann zum Fischmarkt. Wir wurden »angekobert« und trauten uns doch nicht rein in die Spelunken, Bars und Clubs. Wir standen staunend am Eingang der »Ritze« und wagten es nicht, zwischen den beiden aufgemalten gespreizten Frauenbeinen hindurchzugehen. Wir redeten uns raus, wenn die Prostituierten uns anquatschten, und fühlten uns trotzdem großartig. An manchen Abenden gelang es uns schon mal zu »verhandeln«, doch seltsamerweise konnten wir uns nie für eine entscheiden. Wir waren unübersehbar Provinzler, grün hinter den Ohren, und ich nehme an, die Ladys haben herzlich gelacht über uns Jungs, die den Macker markierten, obwohl ihnen gerade mal die ersten Sackhaare wuchsen.

In späteren Jahren tummelten wir uns in Jörg Immendorfs »La Paloma«. Während aus den Lautsprechern »Roxanne, you don’t have to put on the red light« von Police dröhnte, standen die Damen vom horizontalen Gewerbe neben uns an der Theke, um sich kurz aufzuwärmen oder eine kleine Pause zu gönnen. Ich trug Vollbart und Lederjacke und war überzeugt, wie ein Seemann auszusehen.

Die rote Laterne, von der die Gruppe Police sang, ist weltweit das Symbol für Bars mit speziellem Angebot und für Bordelle. Die käufliche Liebe ist bis heute eines der wenigen Tabuthemen. Wer von uns Fünfzigjährigen war schon mal in einem Puff? Wahrscheinlich die meisten. Wer von uns würde das offen zugeben? Eben. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun, denn Schätzungen des Statistischen Bundesamts zufolge kaufen sich in Deutschland etwas mehr als1 Million Freier Sex. Pro Tag! Da müssen welche von uns dabei sein!

Die meisten von uns wurden irgendwann von ihrer Frau gefragt, ab sie schon mal im Puff gewesen seien. Ich hatte diese heikle Situation bei einem gemütlichen Fernsehabend. Es lief »Pretty Woman«, das Märchen vom Aschenputtel in