: Sarah Thornton
: 33 Künstler in 3 Akten
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104033198
: 1
: CHF 14.00
:
: Bildende Kunst
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
WAS IST EIN KÜNSTLER? - Ein einzigartiger Blick hinter die Kulissen der Kunstwelt Was bedeutet es heute ein Künstler zu sein? Ist man mehr Unternehmer oder Unterhalter? Und wie bleibt man authentisch? Die Kunstexpertin und Soziologin Sarah Thornton nimmt uns mit zu den Superstars der internationalen Kunstszene - wie z.B. Ai Weiwei, Jeff Koons, Marina Abramovic - sowie zu den »rising stars«. In drei Akten - Politik, Verwandtschaft und Handwerk - begibt sie sich in die Welt von 33 Künstlern: sie blickt nicht nur in deren Ateliers, sondern auch in Wohnzimmer und auf Bankkonten. Sie führt Hunderte von Gesprächen, ist dabei, wenn Ideen entstehen und große Werke Gestalt annehmen. Mit scharfem Blick analysiert sie die vielfältigen Antworten auf die Frage: Was ist ein Künstler? Mit Jeff Koons, Ai Weiwei, Gabriel Orozco, Eugenio Dittborn, Lu Qing, Zeng Fanzhi, Wangechi Mutu, Kutlug Ataman, Tammy Rae Carland, Larry Gagosian, Martha Rosler, Elmgreen and Dragset, Maurizio Cattelan, Laurie Simmons, Carroll Dunham, Francis Alÿs, Cindy Sherman, Jennifer Dalton, William Powhida, Francesco Bonami, Massimiliano Gioni, Rashid Johnson, Damien Hirst, Andrea Fraser, Christian Marclay, Marina Abramovic, Grayson Perry, Yayoi Kusama, Cady Noland, Beatriz Milhazes und Isaac Julien.

Sarah Thornton studierte Kunstgeschichte und Soziologie, promovierte über die britische Technoszene und lehrte Soziologie an der University of Sussex und am Goldsmith College. Heute ist sie Autorin für internationale Magazine, u.¿a. für den »Economist« und artforum.com, für den »New Yorker« sowie für zahlreiche weitere Zeitungen, wie z.¿B. die »Süddeutsche Zeitung«. Im S. Fischer Verlag erschien von ihr die hochgelobte Reportage ?Sieben Tage in der Kunstwelt?.

Einleitung


Gabriel Orozco
Horses Running Endlessly
1995

Ich glaube nicht an die Kunst.
Ich glaube an den Künstler.

Marcel Duchamp

Künstler machen nicht nur Kunst. Sie schaffen und bewahren Mythen, die ihrem Werk Gewicht verleihen. Während sich die Maler des19. Jahrhunderts mit dem Problem der Glaubwürdigkeit konfrontiert sahen, machte Marcel Duchamp, der Ahnherr der zeitgenössischen Kunst, den Glaubensakt zu einem zentralen künstlerischen Thema.1917 erklärte er ein auf den Kopf gestelltes Urinal zum Kunstwerk und gab ihm den TitelFountain. Damit reklamierte er für den Künstler die gottgleiche Macht, zur Kunst zu erklären, was immer er will. So schwer es ist, sich diese Autorität zu bewahren, so grundlegend ist sie heute für den Erfolg eines Künstlers. Wenn alles Kunst sein kann, gibt es keinen objektiven Maßstab für Qualität, und daher muss ein ambitionierter Künstler seine eigenen Qualitätsmaßstäbe definieren. Er benötigt dafür allerdings nicht nur ein immenses Selbstvertrauen, sondern auch Überzeugungskraft. Heutige Künstler sind wie konkurrierende Gottheiten, die sich durch die Art und Weise ihres Auftretens eine treue Anhängerschaft sichern.

Paradoxerweise ist Kunst eine handwerkliche Tätigkeit. Als Duchamp das Handgemachte zugunsten des Vorgefertigten, des »Readymade«, verwarf, begann er nicht nur Identitäten, sondern auch Ideen zu gestalten. In etlichen seiner Arbeiten spielte er mit seiner sozialen Rolle und präsentierte sich in Frauenkleidern als Rrose Sélavy oder auch als Schwindler und Hochstapler. Nicht nur die Größe und der Aufbau eines Werks, sondern auch das, was ein Künstler tut oder sagt, muss überzeugen – nicht nur andere, sondern auch den Künstler selbst. Ob er sich nun als schillernde, imposante oder als eher bescheidene, zurückhaltende Persönlichkeit präsentiert: glaubwürdige Künstler sind immer Hauptdarsteller, niemals Nebenfiguren oder Verkörperungen stereotyper Charaktere. Daher betrachte ich das Künstleratelier als eine private Bühne für die tägliche Erprobung des Glaubens an sich selbst. Dies ist einer der Gründe, warum ich33 Künstler in drei »Akte« unterteilt habe.

Das Buch geht der Frage nach, was es heißt, heute ein professioneller Künstler zu sein, und untersucht die Art und Weise, wie Künstler in der Welt agieren und sich selbst darstellen. Im Laufe von vier Jahren und mehreren hunderttausend Flugmeilen habe ich hundertdreißig Künstler interviewt. Einige berühmte und viele reflektierte, interessante Künstler wurden bei der Endmontage herausgenommen. Und meine Kriterien entsprachen in vielerlei Hinsicht tatsächlich denen eines Kurators oder auch eines Casting-Direktors. Mit anderen Worten: Das Werk des Künstlers musste bedeutsam sein, aber auch seine Persönlichkeit musste Faszinationskraft besitzen. Gelegentlich hatten die Interviews etwas von einem Vorsprechen für eine Filmrolle. Einem bekannten Fotografen zum Beispiel, der stets Wert darauf legte, als Künstler zu gelten, stellte ich die Kernfrage, die mich bei allen meinen Recherchen geleitet hat: »Was ist ein Künstler?« Er antwortete: »Ein Künstler macht Kunst.« Ich hätte am liebsten gerufen: »Der Nächste bitte!«, um einen neuen Bewerber aus der langen Reihe der wartenden Künstler-Persönlichkeiten hereinzubitten. Seine tautologische Argumentation war nicht zielführend. Sie demonstrierte vielmehr, dass die Kunstwelt, obwohl augenscheinlich ganz auf Dialog ausgerichtet, heiklen Fragen gern ausweicht und sich in ein Verwirrspiel flüchtet, wenn es opportun erscheint.

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