Auf der Weide
In den Sommermonaten war der Schulunterricht aufgehoben. Da gab es so vielerlei in Feld und Wiesen zu tun, wobei die Kinder mithelfen konnten, daß erst im Spätherbst die Pflichten der Schule wieder aufgenommen werden konnten.
Am Montagmorgen in aller Frühe, als die Sonne erst die Spitzen der Berge gerötet hatte, aber noch nicht über die waldige Höhe emporgestiegen war, stürzte Stefeli schon sauber gewaschen und angezogen in Vinzis Kammer und fand ihn noch in tiefem Schlafe liegend.
»Vinzi, schnell, wach auf«, schrie es ihn an, »der Knecht hat schon die Kühe zur Tränke geführt, und der Vater hat gesagt, sobald wir mit dem Morgenessen fertig sind, müssen wir dem Knecht nach auf die Weide hinaus, daß er zur Arbeit zurückkommen kann. Dann müssen wir den ganzen Tag die Kühe hüten, und auch zum Mittagessen dürfen wir nicht fort, weil es von der oberen Weide zu weit ist; wir essen dann draußen, das ist dann recht lustig; mach nur schnell!«
Vinzi war unterdessen erwacht und schaute nun mit seinen großen, dunkeln Augen wie halb im Traum nach seiner Schwester hin.
»Oh, es hat mir etwas so Schönes geträumt«, sagte er jetzt, »ich bin mit der Mutter in Sitten gewesen, weißt du, einmal war ich im letzten Jahr mit ihr dort. Wir waren dann in einer Kirche. Jetzt träumte mir ganz so, wie es damals war. Da oben war eine Orgel, die klang, man kann gar nicht sagen, wie schön. Weißt du, wie eine Orgel ist?«
»Mach doch schnell, Vinzi, und komm, wir können jetzt nicht von einer Orgel reden«, sagte Stefeli drängend, »der Vater sitzt schon am Tisch, und die Mutter hat den Kaffee hineingetragen, und wenn der Vater bös wird, daß wir nicht kommen, so ist es nicht mehr lustig; mach doch schnell!« Jetzt lief Stefeli davon.
Vinzi hatte die Wahrheit von Stefelis Worten erkannt und war aus dem Bett gesprungen. Rasch folgte nun eins aufs andere, was sein mußte, und in wirklich kurzer Zeit trat er zum Ausgang fertig in die Stube. Hier hatte er auch schon seinen bereitstehenden Milchkaffee hinuntergeschluckt und sein Brot in die Tasche gesteckt, bevor noch eins von den drei anderen sein Frühstück nur halb beendet hatte. Der Vater schaute auf den Buben, als dächte er bei sich: »Er kann doch noch recht flink sein, wenn er bei der Sache ist, vielleicht kommt er doch noch zurecht.« Die Mutter hatte das Mittagessen für die Kinder schön in einen kleinen Korb gepackt und hing diesen jetzt dem Vinzi um die Schultern, und Stefeli hüpfte heran, den kleinen Strohhut auf dem Kopf und das Rütlein in der Hand, das ihm der Vinzi schon zurechtgeschnitten hatte, das es aber nicht zum Schlagen der werdenden Kühe, nur zu ihrer Ermunterung gebrauchte. Nun ging's hinaus; Vater und Mutter gingen auch noch mit. Draußen in der Scheune mußte Vinzi noch seine Geißel (Peitsche) holen, eine solche hatten alle Hüterbuben, bloß um damit von Zeit zu Zeit furchtbar zu knallen, daß es von allen Bergen zurückdonnerte. Vinzi hatte keine Freude an dem Knallen, so war ihm die Geißel gleichg