Etwas Elementares an Israels Politik bleibt unentschlüsselt. Dem Augenschein nach ist alles klar, liegt auf der Hand, spricht gleichsam »für sich selbst«; und dennoch wird aus dem vermeintlich Selbstverständlichen nicht die naheliegende Konsequenz gezogen, namentlich die praktische Verwirklichung dessen, was sich zwangsläufig als unentrinnbare Einsicht aufdrängt. Und das Merkwürdige: Alles wurde im vergangenen Jahrzehnt bereits dutzendfach bis ins letzte Detail ausdiskutiert, gerann mithin zum integralen Bestandteil des öffentlichen israelischen Politdiskurses. Um es einfach zu formulieren: Israel steht vor der historischen Entscheidung zwischen der Zwei-Staaten-Lösung, d. h., der Lösung des Konflikts mit den Palästinensern durch Anerkennung eines von den Palästinensern errichteten souveränen Staates an der Seite Israels, und der Lösung des Konflikts durch die Errichtung eines binationalen Staates, eines Staates also, in dem Juden und Palästinenser als gleichwertige Bürger gemeinsam leben würden. Es gibt keine andere strukturelle Möglichkeit außerhalb dieser beiden Grundoptionen. Denn die Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung bedeutet dieobjektive (graduelle) Entstehung einer binationalen Struktur, die, wenn von beiden Seiten akzeptiert, in einen binationalen Staat münden wird; wenn aber von beiden Seiten abgelehnt – und im Hinblick auf die Verfestigung dessen, was im jüdisch-israelischen Diskurs als »demographisch tickende Zeitbombe« apostrophiert wird, zu einem gestandenen Zustand, in dem Juden eine Minorität im eigenen Land bilden –, Israel zu einem Apartheidstaat im vollen Sinne des Wortes werden lassen wird. Diese letzte Möglichkeit wird von der westlichen Welt längerfristig kaum akzeptiert werden können, von den Palästinensern selbst ganz zu schweigen (für viele in der außerwestlichen Welt praktiziert das israelische Okkupationsregime schon seit langem eine vollentfaltete Apartheid-Ideologie); die Isolation Israels würde in diesem Fall Dimensionen annehmen, zu denen im Vergleich der historische Präzedenzfall des internationalen Boykotts gegen den südafrikanischen Apartheidstaat erblassen dürfte, wenn man die geopolitische Explosivität des israelisch-palästinensischen Konflikts in Rechnung stellt – denn der Nahostkonflikt kodiert mehr als »nur« ein herkömmliches Menschenrechtsproblem. Erwähnt sei zudem, dass die Option eines Bevölkerungstransfers im Sinne Meir Kahanes (oder in der gemilderten Version von Rehavam Zeevi und Avigdor Lieberman) hier gar nicht thematisiert zu werden braucht. Denn sie bildet keine historisch reale Lösung des Konflikts, solange sich die Palästinenser ihr widersetzen. Wollte man sie dennoch verwirklichen, würde ein solcher Akt nicht nur zwangsläufig zu einem regionalen Krieg zwischen Israel und der arabischen Welt führen, sondern es ist auch davon auszugehen, dass viele Israelis, einschließlich solcher, die sich der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gegenüber gemeinhin apathisch verhalten, eine solche Option ablehnen und sich ihrer Verwirklichung emphatisch widersetzen würden.
Was also letztlich auf der Waagschale liegt, ist der Fortbestand des zionistischen Staates, wie ihn sich der klassische Zionismus vorstellte und als Realität anvisierte (einschließlich des unhinterfragbaren Postulats, wonach Juden stets eine Mehrheit in ihrem Land zu bilden hätten). Die Verweigerung der Zwei-Staaten-Lösung bedeutet, so besehen, die Beschleunigung des historischen Endes des zionistischen Projekts, wie man es bis jetzt gekannt hat. Nichts führt an dieser Schlussfolgerung vorbei. Das besagt nicht, dass es nicht möglich sein werde, als Juden in einem künftig errichteten binationalen Staat zu