Zweites Kapitel
»Lass uns ausgehen und übers Geschäft reden«, hatte Valfierno nach der zweiten Flasche Roederer vorgeschlagen – eine gute Gelegenheit, die beiden Freunde eine Zeitlang allein zu lassen. Ich möchte nämlich auch über Geschäfte sprechen, über nicht ganz legale Geschäfte. Natürlich würde ich lieber von Chaudron und Valfierno weitererzählen, aber bevor ich damit fortfahre, muss ich Anna Gould erwähnen. Wer sie war, kann man unmöglich wissen, wenn man die Geschichte ihres Vermögens nicht kennt, ohne das Boni de Castellane sie nie geheiratet hätte; und ohne Boni wäre Valfiernos Geschichte schon zu Ende, bevor sie wirklich angefangen hat. Im Übrigen müssen Sie nicht befürchten, dass ich Chaudron und Valfierno aus den Augen verliere – wir kehren rechtzeitig zu ihnen zurück.
Mir war vieles unbekannt, was ich in Lauras Aufzeichnungen las. Ich hatte keine Ahnung, wer Anna Gould und Boni de Castellane waren. Beide gehören zu einem Kapitel amerikanischer und zu einem halben Kapitel europäischer Geschichte, an die sich niemand gerne erinnert. Wir sehen uns mit Vergnügen die prachtvollen Kunstwerke in den großen und großzügigen privaten Sammlungen an. Kein Kunstliebhaber wird nach New York kommen, ohne das Guggenheim Museum oder die Pierpont Morgan Library zu besuchen. Aber niemand fragt sich, woher das Geld kam, um solche Schätze in der Spanne eines Lebens anhäufen zu können. Hinter jedem großen Vermögen verbirgt sich ein großes Verbrechen, schreibt Balzac. Aber manchmal genügt auch ein raffinierter Schachzug.
Annas Vater, Jay Gould, war als Finanzhai so berüchtigt und verhasst, dass meine Eltern ihn noch gekannt haben, aber heute weiß man von seinen gigantischen Betrügereien nichts mehr. Selbst mit dem »Schwarzen Freitag« verbindet man nur den Börsenkrach von 1929 und nicht den Unglückstag, für den dieser Ausdruck erfunden wurde, weil durch Goulds Schuld die Börse zusammenbrach und Tausende ins Elend riss. Mit Eisenbahnaktien hatte er schon zwanzig Millionen verdient, da machte er sich an das »Gold-Komplott«. In den Vereinigten Staaten waren 1869 fünfzehn Millionen Dollar in Gold im Umlauf, die Gould für seinen Plan brauchte. Die Regierung hatte fünfundzwanzig Millionen als Staatsschatz in Reserve, und nur, wenn diese Reserve nicht eingesetzt wird, kann Gould mit dem Goldpreis spekulieren.
Er besticht also den Schwiegersohn von Präsident Grant mit wöchentlich 25 000 Dollar, um an Informationen aus erster Hand zu kommen. Zur Sicherheit kauft er sich mit anderthalb Millionen auch noch den Schatzsekretär. Dann lässt er durch Bankiers wie Morgan alles in Umlauf befindliche Gold aufkaufen. Die Folge war, dass der Goldpreis an der Börse hochschnellte. Über Mittelsmänner verkaufte Gould dann heimlich Gold aus seinen Depots, während er gleichzeitig durch Meldungen seiner eigenen Nachrichten-Agentur die Leute animierte, noch weiter in Gold zu investieren. Also kauften alle sein Gold und stießen dafür ihre gesamten anderen Aktienpakete ab. Die Börse fallierte, unzählige Gesellschaften, Firmen und Privatleute waren ruiniert. Es gab Dutzende von Selbstmorden, und Gould war um zwölf Millionen reicher. Das geschah am 24. September 1869, dem Schwarzen Freitag. Seither war Gould der meistgehasste Mann Amerikas.
Aber das große Geld machte er mit der Union Pacific Railway, der ersten Bahn quer durch Amerika, die den Westen für die Wirtschaft erschloss. Nicht die Bahn hat ihn interessiert, sondern die drei Millionen Hektar Land, die der Staat den Investoren als Anreiz längs der Strecke schenkte. Bevor er die Aktienmehrheit kaufte, ließ Gould geologische Gutachten erstellen: Es war nicht etwa wert