: Marquis de Sade
: Jürgen Schulze
: Die Philosophie im Boudoir oder Die lasterhaften Lehrmeister
: Null Papier Verlag
: 9783954185184
: Erotik bei Null Papier
: 4
: CHF 1.80
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: Erzählende Literatur
: German
: 286
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Erstmalig die vollständige Übersetzung als E-Book - überarbeitet und kommentiert »Die Philosophie im Boudoir« ist das 1795 veröffentlichte Werk des umstrittensten Schriftstellers seiner Zeit: Donatien-Alphonse-François, Marquis de Sade. In Dialogen beschreibt er darin die philosophischen Betrachtungen und Gedanken während der Erziehung einer jungen Schülerin hin zu einer willfährigen Sklavin - körperlich wie geistlich. Wie in seinen anderen Werken - wenn auch viel differenzierter - nutzt de Sade die Lust als Antrieb zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der Welt, den Religionen und der Moral. Der Autor fechtet für die sexuelle und geistige Emanzipation, er ist ein Libertin. In einem längeren Exkurs im fünften Dialog monologisiert de Sade über die Kirche, Religionen, Moral und Herrschaftsformen. Er fordert die ultimative, eigenverantwortliche Freiheit des Einzelnen und negiert die Sinnhaftigkeit eines Gesellschaftsvertrages, in dem Individuen ihre Rechte an einen schützenden Staat abtreten. Stattdessen beharrt er darauf, allein die Herrschaft des Stärkeren gelten zu lassen. »Man wird unsere Ideen vielleicht ein wenig übertrieben finden; was tut das? Haben wir nicht das Recht erworben, alles auszusprechen? Lasst uns vor den Menschen große Wahrheiten entfalten; sie erwarten sie von uns. Es wird Zeit, dass der Irrtum verschwindet, seine Fessel muss neben die der Könige niederfallen. Ist Mord in den Augen der Natur ein Verbrechen? Das ist die erste Frage, die ich stelle.« Null Papier Verlag

Der 1740 geborene Donatien-Alphonse-François de Sade führt das exzessive Leben junger Aristokraten, bis seine Orgien selbst für die zügellosen Sitten jener Epoche untragbar werden. Er wird mehrfach zu Festungshaft und zum Tode verurteilt. Die Todesurteile werden wieder aufgehoben. Sämtliche Schriften verfasst der Marquis in Haft, verzeichnet jedoch kaum wirtschaftliche Erfolge, zumal er sich zu den einträglichsten Romanen, 'Justine' und 'Juliette', nicht bekennt. Das Ende seines Lebens verbringt er in einer Irrenanstalt, wo er Schreibverbot erhält und in Isolation gehalten wird. Dort stirbt de Sade im Jahr 1814. Seine Grabstätte ist heute nicht mehr auffindbar. Beeinflusst ist das literarische Schaffen de Sades einerseits vom Schrifttum der Aufklärung (unter anderem von Thiry d'Holbach und Voltaire), andererseits von seiner Wahrnehmung des Ancien Régime. Es herrscht das Recht des Stärkeren, der lediglich durch einen noch Skrupelloseren aufgehalten wird. Motivation ist der Trieb zum Bösen, der keiner Rechtfertigung bedarf: Ein Mord kann um des Tötens willen geschehen, ohne jeden Zweck, aus einer bloßen Laune heraus.

Erster Dialog


MADEME DE SAINT-ANGE, CHEVALIER DE MIRVEL

MADEME DE SAINT-ANGE: Guten Tag, Bruder. Nun, und Dolmancé?

CHEVALIER: Er kommt pünktlich um drei, und wir essen erst um sieben; du siehst, wir haben Zeit genug zum Plaudern.

MADEME DE SAINT-ANGE: Weißt du Bruder, ich bereue etwas meine Neugier und all die obszönen Pläne für heute. Wirklich, mein Freund, du bist zu nachsichtig. Je vernünftiger ich sein müsste, desto mehr erregt sich mein verfluchter Kopf und wird liederlich: Du lässt mir alles durchgehen, das macht mich noch schlimmer … Mit meinen sechsundzwanzig Jahren müsste ich bereits fromm sein, und ich bin noch die zügelloseste aller Frauen … Man macht sich keine Vorstellung davon, was ich mir ausdenke, mein Freund, was ich tun möchte. Ich glaubte, wenn ich mich einzig an die Frauen hielte, würde mich das zur Vernunft bringen …; meine Begierden, auf mein Geschlecht konzentriert, würden sich nicht mehr dem euren entgegendrängen: schimärische Pläne, mein Freund; die Vergnügungen, die ich mir versagen wollte, stellten sich nur noch lebhafter meinem Geiste dar, und ich habe gemerkt, dass, wenn man wie ich für die Libertinage geboren ist, bereits der Gedanke sinnlos wird, sich Zügel anzulegen: Leidenschaftliche Begierden zerreißen sie alsbald. Kurz, mein Lieber, ich bin ein amphibisches Wesen; ich liebe alles, alles amüsiert mich, ich möchte alle Arten verbinden; aber gib zu, Bruder: Ist es nicht völlig verrückt von mir, den merkwürdigen Dolmancé kennenlernen zu wollen, der, wie du sagst, sein Leben lang keine Frau hat sehen können, wie der Brauch es vorschreibt, der, Sodomit aus Prinzip, nicht nur sein eigenes Geschlecht vergöttert, sondern dem unseren sogar nur nachgibt unter der besonderen Bedingung, dass man ihm die bevorzugten Reize überlässt, deren er sich bei den Männern zu bedienen gewohnt ist? Dies, Bruder, ist meine bizarre Idee: Ich will der Ganymed dieses neuen Jupiter sein, ich will seine Neigungen, seine Ausschweifungen genießen, ich will das Opfer seiner Irrtümer sein: Du weißt, mein Lieber, dass ich mich bisher so nur dir – aus Freundlichkeit – oder einem meiner Leute hingegeben habe, der dafür bezahlt war, mich so zu behandeln, und sich nur aus Eigennutz dazu herbeiließ; heute ist es weder Freundlichkeit noch Laune mehr, nur die Neigung bestimmt mich … Ich sehe zwischen den Methoden, die mich dieser bizarren Manie unterworfen haben, und denen, die mich ihr unterwerfen werden, einen unfassbaren Unterschied, und ich will ihn erkennen. Schildere mir deinen Dolmancé, ich beschwöre dich, damit ich ihn gut im Kopf habe, ehe er erscheint; denn du weißt, dass ich ihn nur daher kenne, dass ich ihm neulich in einem Hause begegnet bin, wo ich nur ein paar Minuten mit ihm zusammen war.

CHEVALIER: Dolmancé, Schwester, hat gerade sein sechsunddreißigstes Lebensjahr erreicht; er ist groß, sehr wohlgestaltet, hat sehr lebhafte und geistreiche Augen, doch unwillkürlich spiegelt sich irgendetwas ein wenig Hartes und Böses in seinen Zügen; er hat die schönsten Zähne der Welt, eine gewisse Weichlichkeit in Gestalt und Haltung, zweifellos durch seine Gewohnheit, häufig feminines Gebaren anzunehmen; er besitzt höchste Eleganz, eine angenehme Stimme, Talente und vor allem viel Philosophie im Denken.

MADEME DE SAINT-ANGE: Er glaubt hoffentlich nicht an Gott.

CHEVALIER: Oh, was sagst du da! Er ist der größte Atheist, der sittenloseste Mensch … Oh, hier ist sicherlich die weitgehendste und vollständigste Verderbtheit, das bösartigste und ruchloseste Individuum, das es auf der Welt geben kann.

MADEME DE SAINT-ANGE: Wie all das mich erhitzt! Ich werde noch schwärmen für diesen Mann. Und seine Vorlieben, Bruder?

CHEVALIER: Du kennst sie; die Wonnen Sodomas schätzt er ebenso als Handelnder wie als Passiver; er will nur Männer zu seinem Vergnügen, und wenn er sich dennoch manchmal herbeilässt, Frauen zu versuchen, so nur unter der Bedingung, dass sie so freundlich sind, das Geschlecht mit ihm zu tauschen. Ich habe ihm von dir erzählt, ich habe ihn von deinen Plänen unterrichtet, er ist einverstanden und macht dich seinerseits zuvor auf die Klauseln des Handelns aufmerksam. Ich warne dich, Schwester, er wird dich rundweg zurückweisen, wenn du ihn zu etwas anderem bringen willst. »Was ich mit Ihrer Schwester zu tun bereit bin«, behauptet er, »ist eine Ausnahme … ein Seitensprung, mit dem man sich nur selten und mit vielen Vorsichtsmaßregeln beschmutzt.«

MADEME DE SAINT-ANGE: Sich beschmutzen! … Vorsichtsmaßregeln! … Ich liebe die Sprache dieser liebenswürdigen Leute wahnsinnig! Unter uns Frauen haben wir ebenfalls derartige Exklusivworte, die wie jene den tiefen Abscheu beweisen, der uns gegenüber allem erfüllt, was nicht zum akzeptierten Kult gehört … ja, sag mir doch, mein Lieber, er hat dich gehabt? Mit deinem entzückenden Gesicht und deinen zwanzig Jahren kann man, glaube ich, so einen Mann fesseln!

CHEVALIER: Ich will dir meine Ausschreitungen mit ihm absolut nicht verbergen: Du hast zu viel Geist, um sie zu tadeln. Tatsächlich liebe ich die Frauen, und ich gebe mich jenen