Kapitel 2
Jana saß auf dem Balkon mit Blick auf den Canal Grande und schaute gedankenverloren dem Vaporetto nach, das laut knatternd in Richtung Riva degli Schiavoni davonfuhr und im grünblauen Wasser eine weiße Spur zurückließ. Auf dem Marmortischchen neben ihrem Korbsessel stand ein Silbertablett mit einer leeren Kaffeetasse und einer angebissenen Scheibe Toast.
Es war feuchtkalt und ungemütlich. Sie schlug den Kragen ihrer Lederjacke hoch und ließ die Augen von dem Vaporetto zu den Fenstern eines Luxushotels am gegenüberliegenden Ufer wandern.
Nieve hatte wirklich ein Gespür für die passende Unterbringung. Von dem Palazzo aus, den sie gemietet hatte, ganz in der Nähe der Rialtobrücke, hatte man einen fantastischen Ausblick, einen der besten der ganzen Stadt.
Jana seufzte. Ihre frühere Feindin war jetzt zwar sehr freundlich zu ihr, trotzdem war ihr nicht ganz wohl dabei, Nieves Gast zu sein. Eigentlich hatte sie die Reise nach Venedig mit Alex machen und ein Apartment nur für sie beide mieten wollen. Natürlich nichts so Luxuriöses wie den Renaissancepalast der Wächter, aber das wäre auch nicht nötig gewesen. Wenn Alex mitgekommen wäre, hätte die Aussicht auf die Stadt keine so große Rolle gespielt.
Aber leider hatte Alex für die Osterferien andere Pläne gehabt, die ihr allerdings vorgeschoben erschienen waren. Vor allem verstand sie immer noch nicht, warum er nicht bei der Übergabe des Gefangenen dabei sein wollte, zumal der unbedingt mit Jana reden und ihr ein Geheimnis anvertrauen wollte, das nur sie erfahren durfte.
Schon als Glaukos, der Anführer der Varulf, sich bei ihr gemeldet und ihr von Argos Forderung erzählt hatte, hatte Alex skeptisch reagiert. Er hielt das Ganze für eine Falle, die Argo, der frühere Wächter, seinen alten Feinden stellen wollte. Und dafür hatte er sich seiner Meinung nach Jana ausgesucht, weil er sie mehr hasste als alle anderen. Alex’ Verdacht klang plausibel, aber Jana war trotzdem irritiert. Für wen hielt ihr Freund sie eigentlich? Sie war nicht so naiv, sich von Argo einwickeln zu lassen. Sie würde die Gelegenheit nutzen, um ihn auszuhorchen, und er würde es nicht einmal merken. Glaukos hatte ihr erzählt, Argo sei sterbenskrank. Im Gegensatz zu den übrigen Wächtern hatte Alex’ Entscheidung, die Magie der heiligen Höhle freizusetzen und allen Menschen zugänglich zu machen, ihn gesundheitlich angegriffen. Glaukos zufolge hatte sich sein Zustand in den letzten Tagen sogar noch verschlechtert. Wenn er wirklich so geschwächt war, würde sie ihm viele Informationen entlocken können.
Es wollte Jana einfach nicht in den Kopf, dass Alex lieber mit seiner Familie Ostern feierte, als diese letzte Episode des Krieges zwischen den Medu und den Wächtern selbst mitzuerleben. Allerdings war er au