: Robert Kraft
: Die Rätsel von Garden Hall
: Karl-May-Verlag
: 9783780216533
: 1
: CHF 4.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 220
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein junger deutscher Arzt tritt die Stelle als Hauslehrer auf Garden Hall an, der Residenz des englischen Lords Roger Norwood. Nicht nur die Tatsache, dass er bereits zwei Stunden nach seiner Ankunft mit der jungen Erbin des seltsamen Lords verheiratet ist, sondern auch viele andere Ungereimtheiten reizen ihn dazu, die Rätsel von Garden Hall zu lösen.

2. Kapitel


 

Ein kurzer Seitenweg führte von der Landstraße ab auf das geschlossene Tor zu, an dem statt einer Glocke ein mächtiger Klopfer angebracht war.

Werner ließ ihn fallen; alsbaldöffnete sich in Kopfhöhe eine Klappe, das Gesicht eines alten Mannes erschien.

„Was wünschen Sie?“

„Doktor Max Werner ist mein Name. Ich wurde brieflich...“

„Ach, der neue Hauslehrer! Haben Sie den Brief Seiner Lordschaft mit?“

„Ich weiß nicht, ob ich ihn...“

„Den müssen Sie vorzeigen, sonst kommen Sie nicht herein!“

„Hier ist er.“

Der junge, selbständige Mann schien nur eine kleine Prüfung gemacht zu haben. Er hatte aus der Brusttasche bereits ein Kuvert gezogen und diesem einen Zettel entnommen, keinen eigentlichen Brief, und der Zettel enthielt nur drei Zeilen, mit der Schreibmaschine geschrieben:

„Stellen Sie sich sofort vor. Dies als Legitimation mitbringen. Lord Roger Norwood, Garden Hall bei Norwood, Kent.“

Auch die Unterschrift mit der Maschine geschrieben.Überhaupt war schon diese ganze Aufforderung dem jungen deutschen Doktor stark in die Nase gefahren. Doch schließlich– eben englisch! Und die Art, wie hier dieser Türhüter ihn ansprach und behandelte, konnte ihn nun auch nicht mehr verdrießen. Aber antreten würde er diese Stelle wohl schwerlich. Er hatte nur noch vor, diesen englischen Herrschaften einmal klarzumachen, wie man einen anständigen Menschen, ob nun Doktor oder nicht, zu behandeln hat.

Der alte Mann hatte den Zettel genommen, setzte erst eine Brille auf.

„Richtig, da sind die zwei Pünktchen– kommen Sie herein!“

Das halbe Toröffnete sich, aber auch nur bis zu einer kleinen Spalte, durch welche der Herr Doktor schlüpfen durfte.

Also zwei Pünktchen, wahrscheinlich Fehler der Schreibmaschine, das war die Hauptsache, die als Legitimation diente, dass der neue Hauslehrer diese nicht etwa selbst geschrieben hatte. Hier herrschten ja recht merkwürdige Zustände!

Rechts war das Wohnhäuschen des Portiers. Vor allen Dingen aber fiel dem Eintretenden beim ersten Blick auf, dass sowohl der breite Hauptweg, der schnurstracks nach der Kaserne führte, wie alle die vielen Nebenwege, die er einmünden sah, sämtlich sorgfältig asphaltiert waren, mit einer kleinen Neigung nach beiden Seiten, dass das Regenwasser abfließen konnte. Denn asphaltierte Garten- und Parkwege sind doch in Deutschland schon etwas Seltenes, und im Gegensatz dazu stand noch, dass dieser Park sonst einen recht verwilderten Eindruck machte.

Zu weiteren Beobachtungen hatte Werner vorläufig keine Zeit. Denn da kam auf einem Seitenweg eine junge Dame angestürmt. Man muss den Ausdruck‚junge Dame‘ gebrauchen, nicht Mädchen, denn danach war sie gekleidet und gewachsen. Doch wir wollen nur mit den Augen unseres Helden betrachten, der nicht viel von den technischen Ausdrücken der edlen Schneiderkunst verstand: ein höchst nobles Sommerhausgartenkostüm, besetzt mit Spitzen und Bändchen und Fähnchen, dass alles nur so flatterte, dazu passend der riesige Strohhut, passend dazu auch die schlanke und dennoch voll entwickelte Gestalt. Sie mochte so zwischen siebzehn und zwanzig sein, und dann war sie, ihrer Figur nach, schon weit vorgeschritten.

Nicht aber ganz passen dazu wollte dieses liebreizende Kindergesicht– das war für diese Gestalt, die einer schon alle Stürme der Welt durchgemacht habenden Dame angehören konnte, noch etwas gar zu unschuldig– und noch weniger dazu passen wollte, wie sie sich vorstellte.

Sie war wirklich angerannt gekommen, richtig angeschossen, dabei mit beiden Fäusten das Kleid hochraffend, dass man noch die Spitzen ihrer Beinkleider tr